Das Finanzamt prüft gerade den Betrieb, in dem man halbtags arbeitet. Normalerweise ist das eigene Hirn noch frisch und unberührt, wenn man sich nach einer Fünf-Stunden-Schicht den Balzac vornimmt. Als Schriftsteller, der nicht allein von seiner Schreibe leben kann, sollte man sich nach Möglichkeit Tätigkeiten suchen, die nur körperlich anstrengend sind. Der größte Bogen ist um Jobs zu machen, die dem Schreiben verwandt sind, oder einen gar dazu zwingen, die eigene Kreativität anzuzapfen. Als Journalist oder Werbetexter beutet man den eigenen Quell der Inspiration aus und korrumpiert den heiligen Prozess des Schreibens.
Aus diesem Grund macht man nach jedem Roman eine lange Pause, auch wenn es sich anfühlt, als könnte man den Schwung nutzen und gleich den nächsten beginnen. Man muss aber den Quell respektieren, ihm Zeit geben sich wieder zu füllen, sonst versiegt er irgendwann. Man merkt es dem Werk vieler erfolgreicher Autorinnen und Autoren an, dass sie den Bogen überspannt haben. Sie folgen dem Gebot ihres Verlegers oder des Erfolgs und hauen ein Buch nach dem anderen aus. Aber WAS sie da schreiben, ist kaum wert, den Kamin anzufeuern.
Jedenfalls ist der Halbtagsjob heute wegen der Betriebsprüfung zu einer kopflastigen Tätigkeit mutiert. Man muss für knapp tausend Rechnungen aus den Jahren 2017-2019, die ins nicht-europäische Ausland gingen, die Exportbelege nachliefern. Wem das zu abstrakt klingt, der probiere bitte, einen einzigen Händler aus der Region Mumbai dazu zu bringen, sich daran zu erinnern, dass man ihm vor fünf Jahren ein Päckchen geschickt hat. Wo doch gerade die Inder die anstrengendsten Geschäftsleute weltweit sind. Man weiß es, man ist inzwischen Fachmann für das Geschäftsgebaren etlicher Nationalitäten.
Inder vereinen in sich den großspurigen Turbokapitalismus der Amerikaner mit der hysterischen Hektik der Italiener. Da man sich in diesem Fall auch noch in der Headshop-Branche befindet, sind die Inder zudem oft Kiffer, die an einem Tag vergessen, was sie am Tag zuvor geschrieben haben. Eine unselige Konstellation.
Nachdem man es gestern trotzdem irgendwie hingekriegt hat, das Schreibpensum zu schaffen, hatte man Angst vor der Nacht. Der Kopf arbeitet weiter, auch wenn man schläft. Man sah schon Fieberträume vor sich, über Gelangensbestätigungen und Umsatzsteuer-IDs. Doch stattdessen fand man sich in einem Spionagefilm-Szenario wieder. Man war einer von wenigen Mitwissern des Umstandes, dass es sich bei Diane de Maufrigneuse und der Fürstin von Cadignan um ein und dieselbe Person handelt. Dieses Wissen geheim zu halten war die Aufgabe. Die man natürlich mit sturer Traumlogik verfolgte, und deshalb schweißgebadet aufwachte. Schön zu sehen, dass Balzac stärker ist als das Finanzamt.
BAND 11: Vendetta, S. 1 – 50
Der korsische Baron Bartolomeo di Piombo steht im Jahr 1800 mit Frau und Tochter vor dem Tuilerienpalast. Sie sind ziemlich abgerissen, offenbar Flüchtlinge. Trotzdem gelingt es dem Baron, zu Napoleon selbst vorzudringen, die beiden sind nämlich alte Kumpels. Er verrät dem Ersten Konsul seinen Grund für die Flucht. Die Familie Porta hat sein Haus angezündet, wobei sein Sohn verbrannt ist. Als Antwort hat er wiederum alle Portas getötet: „…, und wir begaben uns zu dem Weinberg der Portas. Um fünf Uhr morgens kamen wir an, und um sieben Uhr standen sie alle vor Gott.“ Nun fordert er Asyl, das Napoleon seinem Gefährten gewährt.
Fünfzehn Jahre später, kurz nach der Verbannung Napoleons nach St. Helena: Die Piombos sind eine einflussreiche Familie und noch immer glühende Anhänger des Kaisers. Auch und vor allem die feurige Tochter Ginevra. Sie besucht einen Malkurs, den der Künstler Servin für Töchter aus gutem Hause gibt. Dieser Kurs ist geprägt von den Sticheleien zwischen einer Aristo-Clique und den Girls, deren Väter Bankiers und Kaufleute sind. Ginevra entdeckt eine geheime Kammer, in der ein junger Mann schläft. Er ist verletzt und trägt die Abzeichen der kaiserlichen Garde, muss also in diesen Tagen der Restauration mit Verhaftung rechnen. Ginevra und er lernen sich kennen und lieben. Er ist nämlich nicht nur ein treuer Soldat ihres Kaisers, sondern auch Korse, wie sie. Er heißt Luigi.
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