Die Herzogin von Langeais, Teil I

Zum vorherigen Beitrag

Man war bisher dreimal in der Oper. Trotz guten Willens musste man sich am Schluss immer eingestehen, dass die Pause der angenehmste Teil gewesen war. Gestern zum ersten Mal ein Erweckungserlebnis gehabt. Puccini, Turandot. Musikalische Leitung: Zubin Metha. Bühne und Inszenierung von Philipp Stölzl. Streckenweise tränenverschleierter Blick. Als die Pause kam, fühlte man sich, wie schon seit zwanzig Jahren nicht mehr. Damals waren es die Unterbrechungen bei den Kinobesuchen von „Der Herr der Ringe“, die einen gnadenlos in die profane Realität zurück schleuderten.
Nach dem zweiten Akt steht man jedenfalls desorientiert vor der Staatsoper, unfähig irgendetwas anderes zu tun, als auf die Fortsetzung des Stückes zu warten. Dann die große Arie Nessun dorma, das beglückende Spiel der wundervollen Elena Pankratova. Plus die Entscheidung des Regisseurs, Turandot am Ende sterben zu lassen. Zwanzig Minuten standing ovations. Als Zubin Metha langsam auf die Bühne wackelt, explodiert der Saal in Hochrufen. Man feiert die Kunst, man feiert das Leben, man feiert das Ende der Pandemie, zumindest für den Moment. Danke für diesen Abend.

BAND 42: Die Herzogin von Langeais, S. 1 – 50

Auf einer Insel vor der andalusischen Küste gibt es ein Kloster der barfüßigen Karmeliterinnen, das während Revolution und Kaiserzeit nicht verwüstet wurde, weil es unter dem Schutz der englischen Marine stand. Ein einzigartiger Ort: „Kein Wunder, daß die lautere Erhaltung der Ordensregeln aus den fernsten Winkeln Europas betrübte Frauen anzog, deren Seele sich, von allen irdischen Fesseln gelöst, im Schoße Gottes nach einem langsamen Selbstmord sehnten.“
General Armand de Montriveau gelangt auf diese Insel, nachdem er fünf Jahre lang in allen Klostern der Welt vergeblich nach seiner Geliebten gesucht hat. Als er die Kirche betritt, hört er an der leidenschaftlichen Interpretation, dass sie diejenige ist, die an der Orgel sitzt. Immerhin spielt sie Rossini. Allen Widerständen zum Trotz trifft er sie zu einer Unterredung, unter der Aufsicht einer spanisch-strengen Mutter Oberin. Er will sie überzeugen, mit ihm zu kommen, doch sie sträubt sich. Da wird er sauer: „Gibt es Pflichten als solche dem Geliebten gegenüber? Steht er in deinem Herzen nicht voran? Ach nein, immer sehe ich andres über mir: Früher war es ,die Welt‘, heute ist es Gott und mein ,Seelenheil‘, und morgen vielleicht wieder etwas andres!“

Wie man in einem Rückblick erfährt, handelt es sich bei besagter Dame um Antoinette von Navarra, Herzogin von Langeais, zu ihrer Zeit das angesagteste Girl des Faubourg Saint-Germain. Selbst die gottgleiche Diane de Maufrigneuse ist neben ihr nur ein Sidekick. Mit einem Langweiler verheiratet, der nie da ist, fristet sie ihre Tage auf Partys und Bällen. Eine Affäre scheint ihr nicht unpassend, allerdings fällt es ihr schwer, sich einem Typen hinzugeben: „Ihr genügte die Gewißheit, geliebt zu werden. Mehr wollte sie nicht. Wie der Geizige sich sagt: ,Ich bin reich!‘ so sagte sie sich: ,Ich bin geliebt!‘ Weiter dachte, fühlte sie nichts. Sie war zufrieden, daß man ihre Launen erfüllte, die sich niemals bis zu dem Gefühl einer noch so geringen Sehnsucht steigerten.“
Eigentlich klingt das ziemlich sympathisch. Damit wäre sie die erste Frauenfigur der Comédie humaine, die ganz ohne Mann auskommt. Wie Elsa, die Eiskönigin. Doch man ahnt, dass es nicht dabei bleiben wird: Auftritt des Generals Montriveau.

Weiterlesen

2 Gedanken zu “Die Herzogin von Langeais, Teil I

  1. Pingback: Ferragus – Das Haupt der Zerstörer, Teil IV | CLINT LUKAS

  2. Pingback: Die Herzogin von Langeais, Teil II | CLINT LUKAS

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..