Balzac wollte aus den Szenen aus dem politischen Leben eigentlich 28 Romane und Erzählungen machen, geschafft hat er nur zwei Erzählungen und eineinhalb Romane. Dafür hat man in Eine dunkle Geschichte sein bisheriges Lieblingsbuch gefunden. Obwohl die Thematik in der Comédie nicht neu war (die Ressentiments zwischen Adel, Neu-Adel und Bürgertum), waren sie hier so spannend in den historischen Kontext eingebettet, dass man völlig vergaß, dass es sich bei der ganzen Lektüre eigentlich nur um einen Selbstversuch handelt. Das Lesen machte Spaß.
Nun geht es weiter mit den Szenen aus dem Soldatenleben, die allerdings nur aus der folgenden kurzen Erzählung und dem Roman Die Königstreuen besteht.
BAND 62: Eine Leidenschaft in der Wüste
Ein Soldat wird während des Afrikafeldzuges von den Arabern gefangen genommen und in die Wüste verschleppt. Sie fesseln ihn zur Nachtruhe ziemlich nachlässig, weil sie sicher sind, dass niemand so irre wäre, allein in der Wüste zu fliehen. Der Soldat tut es trotzdem, er schnappt sich ein Pferd und türmt. Als am nächsten Morgen die Hitze einsetzt, merkt er, dass sein Move ein Griff ins Klo war. Glücklicherweise findet er dann eine Höhle, vor der sogar Dattelpalmen wachsen. Irgendwas tut er dann noch an diesem Tag, er fällt eine Palme, sinniert ein bisschen über seine Lage, eines tut er jedenfalls nicht: Sich mal kurz in der Höhle umschauen, was da so geht. Deshalb merkt er auch erst nachts, dass er direkt neben einer Löwin schläft. Großer, verständlicher Schreck.
Ihre Lefzen sind blutig, sie wirkt entspannt. Der Soldat ist hin- und hergerissen, ob er abhauen oder versuchen soll, sie mit seinem Dolch zu töten. Dann entscheidet er sich ganz anders:
„Mit einer Bewegung, so sanft, so innig, als gälte es die reizendste Frau zu streicheln, glitt seine Hand über den ganzen Körper hin vom Kopf bis zum Schweif; mit den Nägeln umfuhr er die Wirbelbuchten im gelben Pantherrücken. Voller Wollust hob das Tier seinen Schwanz, ein Schleier fiel um die Augen;“
Man ist ein wenig verwundert ob dieser Wendung. Zwar überlegt der Soldat noch ein paarmal, ob es nicht besser wäre, sie zu killen. Doch dann fügt er sich in die Beziehung mit seinem ungewöhnlichen love-interest: „Nun, mein Fräulein – denn nicht wahr, wir sind doch ein anständiges Mädchen? Sieh mal an! Lassen uns gerne streicheln! Und schämen uns gar nicht? Haben wir am Ende einen Araber gefressen? Gut! Doch das sind auch nur Tiere wie Sie!… Aber Franzosen werden Sie mir nicht verspeisen – ?! Ich hätte Sie sonst gar nicht mehr lieb!“
Am Ende spielt sich eine Eifersuchtsszene leider derart hoch – die Löwin mag nicht, wie der Soldat einem Adler nachsieht – , dass er ihr den Dolch in den Hals stoßen muss. Er wird zwar von seinen Landsleuten gerettet, doch nur mit der Einsicht, die wahre Liebe gefunden – und verloren zu haben. Echt weirder stuff, lieber Honoré, ganz schön weirder stuff.
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