Solange es in der Menschlichen Komödie nur um Aristos und ihre holden Problemchen ging, sehnte man sich nach Figuren mit nachvollziehbaren Konflikten. Armut, Zwang zur Lohnarbeit, keine Wohnung, solche Sachen. Doch als man genau diesen Wunsch von Cäsar Birotteau erfüllt bekam, war es fast so langweilig wie die heutige Realität, die aktuelle Situation.
Umso mehr freut man sich, mit Glanz und Elend der Kurtisanen zu seinen altbekannten Marquisen und Dandys zurückkehren zu dürfen. Das Buch is die direkte Fortsetzung von Verlorene Illusionen und beginnt mit der glanzvollen Rückkehr des allseits beliebten Snobs Lucien de Rubempré.
BAND 48: Glanz und Elend der Kurtisanen, S. 1 – 50
Auf einem Maskenball erscheint der vor Kurzem noch gebrochene Dichter mit unverschämtem Selbstvertrauen. Als Leser der Vorgeschichte weiß man, woher es kommt: Der als spanischer Priester Carlos Herrera getarnte Todtäuscher, der gerissenste Gangsterboss von Paris und aus den Fängen der Geheimpolizei entkommene Sträfling, hat ihn unter seine Fittiche genommen. Natürlich wissen das Luciens Freunde und Bekannte nicht und rätseln deshalb, wer seine Gönnerin sein könnte, die ihm zu solchem Auftreten verhilft. Vielleicht die Gräfin von Sérizy? Oder eine noch höherstehende Dame?
Als der anwesende Rastignac über Lucien spotten will, wird er sofort von seinem gefährlichen Bekannten aus Vater Goriot beiseite genommen: „Im Interesse Ihrer persönlichen Sicherheit sollen Sie wissen: wenn Sie sich mit Lucien nicht so vertragen wie mit einem Bruder, den Sie lieben, sind Sie in unseren Händen, ohne daß wir in den Ihren sind. Also Verschwiegenheit und Ergebenheit, oder ich mische mich in Ihr Spiel und werfe Ihnen Ihre Kegel um.“
Versteht sich von selbst, dass er fortan Luciens größter Fürsprecher ist. Der zeigt sich nun in Begleitung einer Schönheit, in der die umtriebigen Dandys Esther zu erkennen glauben, die Torpille, eine Hure mit legendären Fähigkeiten: „Es gibt keine Frau in Paris, die wie sie dem Tiere im Menschen zu befehlen vermöchte, daß es hervorbreche. Und das Tier kommt aus seinem Versteck hervor und wälzt sich in Ausschweifungen.“
Sie rufen nach ihr, die arme Esther dreht sich im Reflex um und zerfällt augenblicklich zu Asche. Lucien muss die Zitternde vom Ball wegbringen.
Carlos Herrera sucht die Kurtisane am frühen Morgen in ihrer Absteige auf, wo die Gute einen halbherzigen Selbstmordversuch am Kohlenbecken unternommen hat. Denn sie ist so sehr in Lucien verliebt, dass sie ihre Vergangenheit vor ihm verbergen will. Doch der Gangster-Priester, der ja eigene Pläne mit dem Dichterlein hat, zieht ihr die Schrauben fest: „Ihre Liebe denkt an sich selber und nicht an ihn, nur an die zeitlichen Vergnügungen und nicht an die Liebe um ihrer selbst willen. (…) Haben Sie nicht daran gedacht, daß Sie ihn durch Ihre unreine Vergangenheit herabziehen? Daß Sie im Begriffe sind, ein Kind durch die furchtbaren Lüste, denen Sie Ihren Ruhm in der Unzucht zu verdanken haben, zu verderben?“
Das möchte man natürlich auf keinen Fall, von furchtbaren Lüsten verdorben werden. Herrera schlägt Esther deshalb einen Deal vor. Sie soll ins Kloster gehen, um die Kurtisane durch fromme Übung hinter sich zu lassen. Ob sie dann Lucien irgendwann wieder sehen darf, lässt er offen.
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