Man erwacht in der Vulkaneifel, Mayen, Hotel Jägerhof. Rotweinflecken auf strahlend weißer Bettwäsche und komplett dichte Nebenhöhlen. Wegen Heuschnupfens hat man sechs Wochen lang Snup Nasenspray für Erwachsene verwendet, ein wahres Teufelszeug. Der Entzug davon dauert etwa drei Tage, in denen die süchtigen Schleimhäute so geschwollen sind wie etwas sehr Geschwollenes. Trotzdem ist man puppenlustig. Was vor allem daran liegt, dass die Altstadt von Mayen sich als wahre Freude vorgestellt hat.
Abendessen bei einem griechischen Griechen, danach den besten Aperol Sprizz bei einem italienischen Italiener (viel Soda). Balzac-Lektüre an einem Schreibtisch im Erker des besten Hotelzimmers, mit Blick auf den Hauseingang der Ostbahnhofstraße 30, vor dem eine ältere Dame mit verschränkten Armen steht und das Geschehen beobachtet. Man glaubt, dass sie einen noch nicht entdeckt hat, was vermutlich grenzenlos blauäugig ist. Am Abend Lesung von Judith Poznan im Alten Arresthaus. Man ist schon für weniger in den Knast gegangen.
BAND 46: Facino Cane
Ein junger Ich-Erzähler rühmt sich seiner außergewöhnlichen Beobachtungsgabe. Es ist sein liebstes Hobby, durch das Armenviertel zu wandern und den Leuten auf den Zahn zu fühlen. Bei einer Hochzeitsfeier fallen ihm die Musiker auf, ein Trio von Blinden, vor allem der Klarinettist: „Man stelle sich vor, über die Gipsmaske Dantes fließe rotes Lampenlicht, und ein Wald schneeweißer Haare stünde darüber.“
Wie man selbst am Beispiel seines ehemaligen Arbeitgebers Roland Albrecht bemerkte, schlummern die interessantesten Geschichten hinter unauffälligen Fassaden. Vom Ich-Erzähler angesprochen, stellt sich der 82jährige Musiker als der venezianische Patrizier Facino Cane vor, Fürst von Varese. Mit 22 musste er aus der Serenissima fliehen, weil er den Gatten seiner Liebhaberin erschlagen hat, „doch hatte ich Diamanten, fünf zusammengerollte Tizians und mein ganzes Gold bei mir.“
Schließlich wird er doch verhaftet und in einen Kerker geworfen. Allerdings kommt ihm dort seine Superkraft zu Hilfe: er kann nämlich Gold riechen. Auf die Art erschnüffelt er sich den unterirdischen Weg zur Schatzkammer des Dogenpalastes, wo er ein Millionenvermögen stiehlt. Dieses wird ihm dann im Exil von einem englischen Frauenzimmer geklaut, er erblindet und landet im Irrenhaus. Immer diese Weiber!
Nachdem Facino mit seiner Story fertig ist, will er den Ich-Erzähler überzeugen, mit ihm nach Venedig zu reisen, um den restlichen Schatz zu bergen, der immer noch dort liegen muss. Leider kommt es nicht mehr dazu: „Facino Cane starb noch im Laufe dieses Winters. Er hatte sich erkältet und zwei Monate gelegen.“ Hm.
Beste Stelle:
Die Beschreibung von Facino Canes Klarinettenspiel, man fühlt sich sofort an die beliebten Wandermusiker aus Rumä-…, Verzeihung, aus Roma erinnert: „Der Alte spielte drauflos, wie es ihm gerade paßte, weder kümmerte er sich um Takt noch um Melodie, seine Finger drückten rein mechanisch auf den alten Klappen hin und her; die gräßlichen Quiektöne, die er da herausbrachte, gingen ihn überhaupt nichts an;“
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