Pierre Grassou

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Im Sommer 2012 lernte man beim Kantinenlesen einen Menschen aus München kennen, mit dem man sich augenblicklich angefreundet hat, einen Tausendsassa und Genießer, Wildbach-Toni, Schriftsteller, Oktoberfest-Koryphäe, Zeichner, Rapper und Schauspieler. Man besuchte ihn kurz darauf bei seiner Lesebühne, den Schwabinger Schauspielern, und hat seither nicht aufgehört, sich in Berlin und München, in Wien, Bamberg und Griechenland zu treffen.
Gerade erst war man gemeinsam beim Bukowski-Symposium, wo man im Wirtshaus beschloss, dass er auch einen Beitrag in diesem Blog schreiben soll. Die zufällige Wahl fiel auf Pierre Grassou, eine kurze Erzählung über einen Maler, der es einfach nicht drauf hat. Aber trotzdem erfolgreich wird, weil die Gesellschaft nun mal noch blöder ist als er. Was gehässig klingt, wurde von Balzac mit augenzwinkerndem Einfühlungsvermögen geschrieben. Denn Pierre weiß selbst, wie untalentiert er ist. Man hat bei der Lektüre fast ununterbrochen gekichert und freut sich nun auf die Sicht eines geliebten Freundes.

BAND 45: Pierre Grassou

GASTBEITRAG VON MOSES WOLFF

Höchst erfreulich in dem beachtlichen Werk Balzacs ist die diebische Freude des Schriftstellers, sich schamlos über Menschen, ihre Verhaltensweisen und ihr Aussehen zu amüsieren. Besonders unterhaltsam sind seine Personenbeschreibungen, etwa die eines Flaschenhändlers samt Gattin und Tochter, die einen Künstler aufsuchen, um sich porträtieren zu lassen. Der Maler betrachtet die drei Gestalten mit dem belustigten und sehr gründlichen Blick des Kunstschaffenden – mit dem durchgehenden Bedürfnis, laut loszulachen – ein Verlangen, dass er aufgrund einkalkulierter fürstlicher Bezahlung zu unterdrücken weiß.

Das Gesicht des männlichen Familienoberhauptes entspricht einer Melone, die auf einem in blaues Tuch gewandeten Kürbis wächst und „als Schmuck ein Paket klingender Berlocken trug. Die Melone pustete wie ein Delphin, der Kürbis marschierte auf Rüben, die sonst Beine genannt werden.“
Seine Frau hat ein gelbes Kleid mit schwarzen Streifen an und „glich einer Kokosnuß, die in einen Gürtel gepreßt und von einem Kopf überragt war. Sie drehte sich auf Füßen wie auf Zapfen“. Wie sie in ihre Schuhe hineingekommen ist, lässt Balzac unbeantwortet. Ihre Hände, soviel erfährt der Leser, sind in „ausschweifende Halbhandschuhe“ gequetscht. „Die Federn eines Leichenbegräbnisses erster Klasse nickten auf einem aus seinen Formen quellenden Hut. Spitzen schmückten die Schultern, die hinten ebenso gewölbt wie vorne waren: so rundete sich die Form der Kokosnuß zur Vollkommenheit.“
Die Tochter ist junger Spargel in grüngelbem Kleid. „Sie hatte einen kleinen Kopf mit einer gescheitelten Frisur, Haar, dessen Farbe an rotgelbe Rüben erinnerte, und einen Römer entzückt hätte, Spindelarme, Sommersprossen auf einem ziemlich weißen Teint, große unschuldige Augen mit weißen Wimpern, wenig Wimpern, einen florentinischen Hut mit zwei züchtigen Satinschleifen und eine Borte aus weißem Satin, tugendhaft rote Hände und die Füße ihrer Mutter.“

Diese wundervollen Beschreibungen sind höchst erquicklich und geben mir den Anlass, das Geburtstagsgeschenk meiner Großmutter zu meinem achtzehnten Geburtstag zu erwähnen. Es bestand aus einem fränkischen Weißwein-Boxbeutel des Herstellers „Nordheimer Vögelein“. Oma nähte der Flasche ein Kleid, setzte ihr einen Apfel mit einem Filzhütchen auf und steckte zwei Bifi-Minisalamis in die Ärmel hinein. Dazu schrieb sie folgendes Gedicht: „Mein Kopf, der ist ein Apfel, die Arme sind aus Wurst, und hebst du hoch mein Röckchen, dann gibt’s was für den Durst.“

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2 Gedanken zu “Pierre Grassou

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