Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan, Teil I

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Mal wieder ein Tag, an dem man die Sinnhaftigkeit dieses Projektes in Frage stellt. Gerade war man noch übermütig, plante bereits den ganzen Goethe als Anschlusslektüre. Oder den ganzen Shakespeare. Warum innehalten, wenn man sich an einen extremen Arbeitsrhythmus gewöhnt hat? Doch am 161. Balzac-Tag wacht man erschöpft auf. Es ist keine Erkältung, kein Selbstmitleid, sondern einfach nur Schwäche. Winselnd liegt man um sieben Uhr früh im Eukalyptus-Bad, das Kind kommt um die Ecke und hebt skeptisch die Augenbrauen.
„Papa, warum weinst du?“
„Ich weine nicht, ich gräme mich.“
„Was heißt denn das?“
„Dass du nicht so frech sein sollst.“
„Können wir heute Farben kaufen?“
„Was denn für Farben?“
„Na, Ölfarben und Acrylfarben und Leinwände. Wir wollten doch mal wieder malen.“
„Ich hab doch gerade erst Coralie gemalt.“
„Wen?“
„Die Frau aus dem Buch mit dem Kinn, das so fein wie ein Kelchrand ist.“
„Das war vor tausend Jahren. Ich will heute malen.“
„Ich bin viel zu schwach.“
„Komm doch mal raus aus der Wanne und zieh dich an. Hast du schon Zähne geputzt?“
Man taucht mit dem Kopf unter Wasser und wartet, dass die Probleme sich von allein lösen. Als einem die Luft ausgeht, taucht man wieder auf und stellt fest, dass alle Probleme noch da sind. So viele Probleme sind es eigentlich gar nicht. Nur die tägliche Wiederkehr der unvermeidlichen Stunde Balzac. Das Kind summt fröhlich, während es seine Haare kämmt. Man beschließt, dass dieser Tag ein Maltag werden wird und der Meister bis morgen getrost scheißen gehen kann.

BAND 44: Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan, S. 1 – 30

Nach der Julirevolution von 1830 ist die bereits mehrfach als Lieblingsfigur ausgezeichnete Herzogin Diane von Maufrigneuse leider pleite. Selbstverständlich hat dies nur mit ihrer Verschwendungssucht zu tun und nichts mit den politischen Umwälzungen, sie lässt es aber geschickt so aussehen. Um Gras über ihren Ruf als männerfressende Hedonistin wachsen zu lassen, nennt sie sich fortan Fürstin von Cadignan, ein Titel, der ihr ebenfalls zusteht, und wohnt zurückgezogen in einer bescheidenen 5-Zimmer-Wohnung mit Garten. „Von einer Königin, der so viele Höflinge gehuldigt hatten und deren Leichtfertigkeiten mehrere Romane füllen konnten, blieb eine Frau von köstlicher Schönheit übrig, sechsunddreißig Jahre alt, aber berechtigt, nicht mehr als dreißig zuzugeben“.
Ihre letzte verbliebene Freundin ist merkwürdigerweise die Marquise d’Espard, dieses glorreiche Miststück. Mit ihr schwelgt sie in der nostalgischen Betrachtung, dass sie trotz ihrer zahllosen Affären nie die wahre Liebe kennenlernen durfte.

Denkt man kurz darüber nach, mit wem Diane noch nicht im Bett war, kommen eigentlich nur wenige Figuren in Frage. Sie will weder einen Dummkopf, noch einen Mann von Geist, es muss schon ein richtiges Genie sein. Und wer wäre dafür besser geeignet, als das Abbild des Meisters selbst, der demütig-strebsame Daniel d’Arthez, Lichtgestalt und Mentor von Lucien de Rubempré aus Verlorene Illusionen? „Seine Freunde wissen, daß bis jetzt für ihn die Frau nur eine stets gefürchtete Erscheinung war; er hat sie zu gut beobachtet, um sie nicht zu fürchten; aber trotz aller Anstrengung ist es ihm nicht gelungen, sie wirklich zu kennen.“
Wenn da nicht der Autor wieder die Angel nach einer echten Gräfin auswirft. Balzac war ja bekanntlich kein Kind von Traurigkeit, wenn es darum ging, üppigen Dingern ins Beinfleisch zu kneifen. Aber offiziell muss er natürlich der unschuldige Asket sein, wenn er einen vertrockneten Fetzen wie die Hánska erobern will.
Mithilfe der Marquise d’Espard, sowie Rastignac und Blondet wird jedenfalls ein Date zwischen Diane und Daniel eingefädelt. Man darf gespannt sein, die beiden würden ein Traumpaar abgeben.

Beste Stelle:

Wenn Balzac ganz bescheiden und ohne Hintergedanken die Bedeutung des Daniel d’Arthez bemisst: „Daniel d’Arthez, einer der seltenen Männer, die in unsern Tagen einen großen Charakter mit einer großen Begabung vereinigen, hatte noch nicht die ganze Berühmtheit erlangt, die ihm seine Werke einbringen mußten, aber eine Achtung, der die Erlesenen nichts hinzufügen konnten. Sein Ansehen wird sicher noch größer werden, aber es hatte damals schon seine ganze Entfaltung in den Augen von Kennern erreicht: Er gehört zu den Autoren, die früher oder später den Platz erhalten, der ihnen zukommt, und ihn dann nicht mehr verlieren.“

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2 Gedanken zu “Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan, Teil I

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