Mal wieder ein Tag, an dem man die Sinnhaftigkeit dieses Projektes in Frage stellt. Gerade war man noch übermütig, plante bereits den ganzen Goethe als Anschlusslektüre. Oder den ganzen Shakespeare. Warum innehalten, wenn man sich an einen extremen Arbeitsrhythmus gewöhnt hat? Doch am 161. Balzac-Tag wacht man erschöpft auf. Es ist keine Erkältung, kein Selbstmitleid, sondern einfach nur Schwäche. Winselnd liegt man um sieben Uhr früh im Eukalyptus-Bad, das Kind kommt um die Ecke und hebt skeptisch die Augenbrauen.
„Papa, warum weinst du?“
„Ich weine nicht, ich gräme mich.“
„Was heißt denn das?“
„Dass du nicht so frech sein sollst.“
„Können wir heute Farben kaufen?“
„Was denn für Farben?“
„Na, Ölfarben und Acrylfarben und Leinwände. Wir wollten doch mal wieder malen.“
„Ich hab doch gerade erst Coralie gemalt.“
„Wen?“
„Die Frau aus dem Buch mit dem Kinn, das so fein wie ein Kelchrand ist.“
„Das war vor tausend Jahren. Ich will heute malen.“
„Ich bin viel zu schwach.“
„Komm doch mal raus aus der Wanne und zieh dich an. Hast du schon Zähne geputzt?“
Man taucht mit dem Kopf unter Wasser und wartet, dass die Probleme sich von allein lösen. Als einem die Luft ausgeht, taucht man wieder auf und stellt fest, dass alle Probleme noch da sind. So viele Probleme sind es eigentlich gar nicht. Nur die tägliche Wiederkehr der unvermeidlichen Stunde Balzac. Das Kind summt fröhlich, während es seine Haare kämmt. Man beschließt, dass dieser Tag ein Maltag werden wird und der Meister bis morgen getrost scheißen gehen kann.
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