Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan, Teil II

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Wie versprochen war man mit dem Kind Ölfarben kaufen. Da man komplett farbenblind ist, hat man sich wie immer für die Töne mit den wohlklingendsten Namen entschieden: Preußischblau, Krapprubin, Indigo, Schweinfurter Grünton. Zuhause angekommen porträtiert man das Kind, sitzt anschließend für sie Modell. Keiner darf einen Blick auf das Bild des anderen werfen, bis beide fertig sind. Als man die Ergebnisse schließlich enthüllt, runzelt das Kind die Stirn.
„Papa, ich hab doch gar nicht so kurze Haare.“
„Naja, die waren zusammen gebunden. Man hat von vorne nicht mehr gesehen.“
„Und warum haben meine Ohrringe die gleiche Farbe wie mein T-Shirt?“
„Welche Farbe hat denn dein T-Shirt?“
„Also ich finde, ich seh irgendwie anders aus auf dem Bild. So alt und komisch.“
„Hm.“
„Und wie findest du mein Bild?“
„Ich finde es besonders gelungen.“
„Obwohl ich dir eine Clownsnase gemalt habe?“
„Gerade weil du mir eine Clownsnase gemalt hast.“
„Ich finde bei dir den Rahmen am schönsten. Ist das das Schweinegrün?“
„So ist es.“

BAND 44: Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan, S. 31 – 60

Diane und Daniel gehen beim ersten Treffen sofort auf Tuchfühlung. Der Icebreaker dabei ist Michel Chrestien, auch ein ehemaliges Mitglied der Getreuen um Daniel, der vier Jahre lang aus der Ferne in Diane verliebt war und sich bei den Aufständen geopfert hat, um ihren Mann zu retten. „Daß die Unterhaltung bis zum Dessert bei Michel Chrestien blieb, war ein wunderbarer Vorwand für Daniel wie für die Fürstin, mit leiser Stimme zu sprechen: von Liebe, Sympathie, Ahnung; für sie, sich als verkannte, verleumdete Frau hinzustellen; für ihn, die Füße in die Schuhe des gefallenen Republikaners zu stecken.“
Es folgen lustige Betrachtungen, wie Daniel in der Gesellschaft ankommt, für Balzac wohl so eine Art Selbstreflexion: „Ein Schriftsteller, der sich zu der Höhe erhebt, auf der er steht, ist gewöhnt, an alles zu denken, und vergißt manchmal in der Gesellschaft, daß man nicht alles sagen muß; ihm ist es unmöglich, die Zurückhaltung der Leute zu haben, die ständig darin leben; aber da seine Verstöße fast immer das Zeichen der Originalität tragen, beklagt sich niemand darüber.“
Ob ins Tischtuch schnäuzen und eine Körperhygiene wie die von Rainer-Werner Fassbinder zu diesen originellen Verstößen dazu gehören? Denn die kamen nicht so gut an, wenn man Balzacs Zeitzeugen Glauben schenken darf.

Diane scheint jedenfalls nicht so kleinlich zu sein, denn sie lädt Daniel zu sich nach Hause ein. Einen Monat lang kommt er nun jeden Tag zu ihr. Seine Kumpels Blondet und Rastignac warnen ihn derweil, auf sein Geld aufzupassen. Immerhin hat Diane nicht nur einen Liebhaber in den Ruin getrieben (siehe Das Antiquitätenkabinett). Doch sie bereitet sich immer so reizend auf seine Besuche vor, liest all seine Bücher, dass Daniel sich einwickeln lässt: „D’Arthez war äußerst erstaunt; er konnte ja nicht ahnen, daß Diana von Uxelles am Abend wiederholte, was sie am Morgen gelesen hatte – wie es viele Schriftsteller tun.“

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2 Gedanken zu “Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan, Teil II

  1. Pingback: Die Geheimnisse der Fürstin von Cadignan, Teil I | CLINT LUKAS

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