Ein neuer Tag im Showbusiness, und es ist ein guter Tag. Am Vorabend hat man die Auftragsbiographie fertig geschrieben, korrigiert und abgeschickt. Alles in allem hat man demnach drei Monate für dieses Projekt gebraucht, inklusive vier Wochen Interview-Sitzungen mit dem Protagonisten. Auch während des Schreibens hat man immer mal drei bis vier Kapitel zur Ansicht verschickt, weil dadurch meist weitere Erinnerungen erwachen, die zu neuen Anekdoten führen.
Das beste an diesem Tag ist jedoch, dass man nicht in das übliche Loch fällt, das hinter jeder erfüllten Deadline lauert. Ganz einfach, weil man sich nahtlos ins nächste Projekt stürzen muss. Der Buchvertrag ist bereits unterschrieben, neue Deadline: November. Cool trotz Kind – der Ratgeber. Andere malen die Situation, von Deadline zu Deadline zu hetzen, mit den schrecklichsten Farben an die Wand. Man selbst möchte gar nicht mehr anders leben.
Auch für die Zeit nach diesem Blog hat man bereits Ideen. Vielleicht den ganzen Goethe, oder den ganzen Shakespeare. Vielleicht auch was Schräges wie Aristoteles. Die Möglichkeiten sind unermesslich.
BAND 40: Sarrasine
Seit langem mal wieder eine kurze Novelle, die man in einem Stück lesen kann. Der Ich-Erzähler hat ein Date mit Madame de Rochefide. Gemeinsam hängen sie auf einem Ball der Familie Lanty herum und beobachten einen merkwürdigen Greis: „Ohne wirklich ein Vampyr, ein Zauberer, ein Homunkulus oder eine Art Faust zu sein, hatte er doch von all diesen menschenähnlichen Gestalten etwas an sich“.
Madame de Rochefide möchte gern das Geheimnis dieser Gestalt erfahren, woraufhin der Ich-Erzähler mit einem Vortrag loslegt, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Erzählton Balzacs hat. Der junge Ernest-Jean Sarrasine ist ein begnadeter Bildhauer, der mit zwanzig nach Italien reist. In einem römischen Theater verliebt er sich in die Sängerin Zambinella, mietet sich extra eine Loge in Bühnennähe, um sie täglich stalken zu können.
Er wird ihr schließlich von den anderen Schauspielern vorgestellt, man zieht gemeinsam um die Häuser. Auf Sarrasines Annäherungsversuche reagiert Zambinella kokett, man kennt das aus anderen Balzac-Bänden. Dann allerdings eine verblüffende Enthüllung: Die Gute ist nicht etwa vergeben oder in einen anderen verliebt, sondern ein Eunuch. Keine göttliche Inkarnation alles Weiblichen, sondern ein kastrierter Gentleman. Sarrasine will ihn erschlagen, wird dann aber selbst erstochen.
Auf die Frage Madame de Rochefides, was diese Geschichte mit dem alten Gespenst zu tun hat, enthüllt der Erzähler, was man bereits ahnt. Der Schlottergreis ist der gealterte Eunuch. Da bleibt einem die Spucke weg.
Beste Figur:
Der alte Zambinella, auch mit über achtzig noch todschick: „Zum Glück war sein leichenhafter Schädel unter einen blonden Perücke verborgen, deren Lockenfülle eine außergewöhnliche Eitelkeit verriet. (…) Schweigsam und unbeweglich saß er da, ein Moschusduft strömte von ihm aus wie aus alten Kleidern, die die Erben einer Herzogin aus den Schubladen nehmen, wenn sie den Nachlaß ordnen.“
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