Honorine, Teil I

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BAND 27: Honorine, S. 1 – 50

Gerade als man dachte, den Fängen von Béatrix entronnen zu sein, tauchen die gleichen Figuren im nächsten Band wieder auf. Félicité des Touches und ihre Künstlerkumpels Vignon und Léon de Lora sind zu Besuch beim Generalkonsul in Genua, man plaudert über so unverfängliche Themen, wie den weiblichen Ehebruch. Während die Frauen eher unsolidarisch unterwegs sind und ihre untreuen Kolleginnen aufs Schärfste verurteilen, sind die Männer kulant, allen voran der Konsul Maurice. Er fängt auch direkt mit einem Schwank aus seinem Leben an.

Als junges Ding tritt er eine Stelle als Privatsekretär des geheimnisvollen Grafen Octave de Bauvan an: „Seine etwas zu gewaltige Stirn setzte in Schrecken, als ob es eines Geisteskranken Stirn sei, und dies um so mehr, als sie mit dem unteren Teil des Gesichtes kontrastierte, der durch ein kleines Kinn, das fast an die Unterlippe stieß, abgeschlossen wurde.“
Dieses kuriose Erscheinungsbild scheint von einem Trauma herzurühren, denn der Graf behandelt Maurice zwar wie einen Sohn, verfällt jedoch andauernd in Zustände dumpfer Verzweiflung. Das gibt Anlass zu Spekulationen: „War dieser gottesfürchtige Mann vielleicht das Opfer eines heuchlerisch verborgenen Lasters? Wandte er alle Geisteskräfte in einer Eifersuchtsaffäre auf, wobei er geschickter war als Othello? Lebte er mit einer Frau, die ihm nicht ebenbürtig war?“

Die wahre Ursache kommt erst beim Diner mit den ebenfalls leidgeprüften Herren de Granville und de Sérizy ans Licht. Man erinnert sich, der erste ist mit einer psychotischen Frömmlerin verheiratet (Eine Evatochter) und wird von seiner Mätresse für einen Jüngeren verlassen (Eine doppelte Familie), der zweite ist das Gespött der Stadt, weil seine Gattin mit jedem anderen schläft, nur nicht mit ihm (Der Beginn des Lebens). Durch sie erfährt Maurice, dass es dem Grafen de Bauvan genauso ergangen ist, namentlich mit seiner jungen Frau Honorine: „Sie war rein und unschuldig und noch hatte keine Begierde ihren Schlummer gestört. (…) Mit einem Wort, ihre Herzensreinheit hätte sie furchtlos unter Schlangen wandeln lassen wie die Idealfigur, die ein Maler zum Symbol der Unschuld macht.“
Vielleicht brennen diese Girls auch nur deshalb durch, weil sie ständig zu solchen rosigen, marzipanhaften Engeln verklärt werden.

Jedenfalls ging Honorines Affäre nach eineinhalb Jahren schief, und weil sie sich trotzdem weigert, zum Grafen zurückzukommen, macht er sich einen Spaß daraus, sie heimlich zu finanzieren. Er hat ihr „einen Raum eingerichtet, wo sie künstliche Blumen und Putz anfertigt. Sie glaubt die Produkte ihrer Arbeit an einen Händler zu verkaufen, der sie ihr so teuer bezahlt, daß sie zwanzig Franken pro Tag hat (…) Sie hat Freude an Blumen und gibt einem Gärtner hundert Taler, der von mir zwölfhundert Franken Lohn bekommt und mir vierteljährlich Rechnungen über zweitausend Franken vorlegt. (…) Seit drei Jahren ist Honorine glücklich. Sie glaubt, die Pracht ihrer Blumen, ihre Toiletten und ihren Wohlstand der eigenen Arbeit zu verdanken.“
Eine ulkige Strategie. Jede Frau hat es schließlich gern, wenn die drolligen Früchte ihrer Arbeit von im Verborgenen operierenden Lustgreisen subventioniert werden.

Beste Stelle:

Wenn Octave de Bauvan versucht in den Puff zu gehen, um Honorine zu vergessen: „Ich ließ meine Taler springen und ging bis in den Vorhof der Untreue. Dort aber tauchte meine Erinnerung an Honorine wie eine weiße Statue vor mir auf. (…) dann ergriff ich die Flucht wie ein Mann der ein Grab schänden will und dabei die Seele des verklärten Toten aus dem Grabe aufsteigen sieht.“

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2 Gedanken zu “Honorine, Teil I

  1. Pingback: Beatrix, Teil XII | CLINT LUKAS

  2. Pingback: Honorine, Teil II | CLINT LUKAS

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