Die Verlassene, Teil II

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BAND 21: Die Verlassene, S. 29 – 61

Als Dame von Welt lässt Frau de Beauséant den kleinen Gaston noch eine Weile zappeln. Das tut sie nicht aus Koketterie, sondern aus echten Bedenken, immerhin ist sie fast zehn Jahre älter als er. „Nach einem langen, grausamen Hin und Her schrieb Gaston Frau de Beauséant den folgenden Brief, der als Vorbild der den Liebenden eigentümlichen Phraseologie gelten und mit den von Kindern zum Geburtstag ihrer Eltern im geheimen angefertigten Zeichnungen verglichen werden kann, abscheulichen Geschenken für alle, außer die, die sie bekommen“.
Obwohl das Schmalz aus jeder Zeile tropft, bleibt die Gräfin standhaft, flieht mit der Kutsche nach Genf. Gaston bleibt ihr auf den Fersen, und dort, in der Fremde, erreicht er endlich sein Ziel. Wie die Eroberung letztendlich vonstatten geht, wird gnädig ausgeblendet: „Warum muß der Erzähler (…) seine Leser und seinen Helden lange schmachten lassen? Er müßte einige Szenen entzückender Koketterie schildern, süße Verzögerungen, mit denen Frau de Beauséant Gaston beglückte, bevor sie mit der Anmut antiker Jungfrauen fiel;“ Muss er nicht, Bruder. Das passt schon so.

Für neun lange Jahre sind die beiden daraufhin glücklich, sechs davon wieder in Frankreich. Eigentlich könnte alles gut sein, aber die Gräfin wird irgendwann unruhig. Gastons Mutter zickt herum, weil ihr Sohn schon so lange in Sünde lebt (schließlich ist die Gräfin noch immer in erster Ehe verheiratet), und hat deshalb eine eigene Kandidatin aus dem Hut gezaubert: „…letztere Dame war ein junges, ziemlich unbedeutendes Mädchen, steif wie eine Pappel, weiß und rosafarben, halbstumm wie es bekanntlich auf dem Programm aller jungen, zu verheiratenden Mädchen steht;“
Keine echte Konkurrenz also für die strahlende Gräfin, aber wie es so ist, sät sie mit einem Brief selbst den Zweifel in Gastons Ohr, weil sie sich alt und unsicher fühlt. Gaston verlässt sie und heiratet das graue Mäuschen.
Frau de Beauséant zieht sich daraufhin auf eines ihrer Schlösser zurück und empfängt niemanden mehr. Vor der Trennung hat sie Gaston prophezeit: „Deine Augen, die immer in himmlischem Glanz schimmerten, wenn sie auf mir ruhten, werden oft trübe werden, wenn sie sie anschauen. Da es nämlich unmöglich ist, Dich so zu lieben, wie ich Dich liebe, wird Dir diese Frau niemals so gut gefallen, wie ich Dir gefallen habe.“

In der Tat ist Gaston recht schnell abgeturnt von der farblosen Gattin, er möchte zurück zu seiner großen Geliebten. Als diese sich weigert ihn zu empfangen, richtet er sich selbst mit dem Gewehr. Konsequenterweise, muss man sagen, denn kein Mann hat das Recht, eine grand dame wie die Gräfin de Beauséant zu verraten. Balzac scheint das ähnlich zu sehen: „Aber wenn ein Mann, der sie gekannt hat, auf eine solche Liebe verzichtet und eine Vernunftehe eingeht, (…) wenn er noch den Geschmack einer himmlischen Liebe auf den Lippen hat und wenn er um seines gesellschaftlichen Wahnes willen seine wahre Gattin tödlich verletzt hat, dann muß er sterben“.
Ende der Diskussion.

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2 Gedanken zu “Die Verlassene, Teil II

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