Nach vier Tagen wieder zurück in Berlin. Es stimmt einen immer fröhlich, nach Hause zu kommen. Trotzdem verspürt man den Wunsch, der preußischen Hauptstadt die Vorzüge von Paris aufs Brot zu schmieren.
Die alle Schichten durchdringende Lust am Genießen wurde bereits hinlänglich gelobt. Dazu kommen charmante Details, wie kostenlose öffentliche Toiletten, oder ein funktionierendes, günstiges ÖPNV-Netz, das ganz ohne penetrante Werbekampagne auskommt. Wie in allen kultivierten Ländern lässt man das Trinkgeld auf dem Tisch liegen, statt das Personal mit gönnerhaften Ansagen zu beschämen. Auch scheint die Kloppi-Dichte ungleich niedriger zu sein, obgleich das daran liegen mag, dass man sich als Tourist nur in den gediegenen Arrondissements aufhält. Alles in allem also durchaus empfehlenswert. Ganz lieb gemeinte 4 von 5 Sternen.
BAND 7: Albert Savarus, S. 1 – 37
Schauplatz ist einer der wenigen Hotspots des ostfranzösischen Besançon von 1834, im Salon der Baronin von Watteville, unter deren Fuchtel es streng, aber ungerecht zugeht. Das kriegen der Baron, vor allem aber die gemeinsame Tochter Rosalie zu spüren. Diese wurde von einem knochentrockenen Jesuiten erzogen, ihre einzigen Hobbies sind Sticken, Erbauungsschriften und heraldische Werke. „Niemals waren ihre Blicke von einer Zeitung befleckt worden. (…) Mit siebzehn Jahren war Fräulein de Watteville zart, grazil, flachbrüstig, blond, von weißem Teint – und gänzlich unbedeutend.“
An dem Abend, an dem die Handlung einsetzt, kommt der Generalvikar Abbé de Grancey zu Besuch und berichtet von einigen spektakulären Gerichtsprozessen, die alle von einem jungen Pariser Anwalt gewonnen wurden. Der Name des Anwalts: Albert Savaron de Savarus. Man rätselt, wie es dazu kommen konnte, dass ein Zugereister im biederen, fremdenfeindlichen Besançon derart glänzen durfte. (Ein Lokalpolitiker fasst die örtliche Mentalität mit den Worten zusammen: „…wir sind ernst, mehr als das; wir sind langweilig, wir wollen gar nicht unterhalten sein, sind sogar wütend, wenn es etwas zu lachen gibt.“)
Noch geheimnisvoller sind jedoch die Arbeitsgewohnheiten des Anwalts, der ausgerechnet im Nachbarhaus der Wattevilles wohnt: „Er steht nachts regelmäßig zwischen eins und zwei auf, arbeitet bis gegen acht, frühstückt, arbeitet weiter. Promeniert fünfzig-, sechzigmal rund um den Garten, geht wieder ins Haus, speist zur Nacht, legt sich zwischen sechs und sieben zu Bett.“
Die unbedarfte Rosalie entflammt durch die Beschreibung dieses Engels der Nacht, und steigert sich in eine besessene Liebe hinein. Sie beobachtet ihn, folgt ihm in die Kirche, lässt ihren Vater die Revue abonnieren, die der Anwalt herausgibt. Und siehe da, in der dritten Nummer erscheint eine mit A.S. signierte Novelle, die Licht ins Dunkel zu bringen verspricht. Balzac ist sich nicht zu schade, dieses Bekenntnis in voller Länge zu zitieren, „worin (…) Albert einige moderne Autoren nachahmte, die aus Phantasiemangel ihre eigenen Freuden und Leiden oder die mystischen Hintergründe ihres Daseins ausbreiten.“
Beste Stelle:
Wenn Rosalie über die angeblich schöne Stirn von Albert grübeln muss: „ ,Eine schöne Stirn‘, dachte sie und betrachtete reihum die Stirnen aller Männer an der Tafel, ,ich sehe nicht eine einzige schöne Stirn… Die von Herrn de Soulas ist zu gewölbt, die von Herrn de Graney wohl schön, aber bei seinen siebzig Jahren hat er kein Haar mehr, und man weiß eigentlich nicht recht, wo seine Stirne aufhört.‘ “
Endlich mal jemand, der auch nichts mit diesen komischen Beschreibungen anfangen kann.
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