Es ist geschafft. Die 16.522 Seiten der Diogenes-Gesamtausgabe sind abgehakt. Natürlich hat man früh genug bemerkt, dass die beiden Bände der Analytischen Studien darin fehlen, weshalb man sie als „Goldmanns gelbe Taschenbücher“ auftreiben musste. Die eher trocken anmutende Abhandlung mit dem Titel Physiologie der Ehe (350 Seiten) kommt als erstes dran, und sieh da, bereits das Vorwort widerlegt den voreingenommenen Eindruck. Balzac selbst bezeichnet diesen Band als sein erstes Buch. Aufgrund des kontroversen Themas veröffentlichte er es 1829 sogar noch ohne seinen Namen, und tatsächlich blieb der Skandal nicht aus. Grund dafür: Das weibliche Geschlecht kommt darin alles andere als gut weg. Jedenfalls warnt Balzac ausdrücklich vor: „Der allerboshafteste Mann wird niemals über die Frauen soviel Gutes und so viel Böses sagen, wie sie selber von sich denken. Sollte trotz dieser Vorbemerkungen eine Frau durchaus das Werk lesen wollen, so wird das Zartgefühl ihr zur Pflicht machen müssen, nicht den Verfasser zu schmähen“.
BAND 88: Physiologie der Ehe, S. 1 – 51
In der auf das Vorwort folgenden Einleitung betont der Meister nochmal, dass er dieses Buch überhaupt nicht schreiben wollte. Ein Dämon, höchstwahrscheinlich der Teufel selbst, hat ihn dazu getrieben. Dem muss man natürlich folgen. Balzac sticht deshalb direkt ins Wespennest und stellt die These auf, dass kein vernünftiger Mensch jemals in eine Ehe einwilligen würde. Die Ehe als Institution ist ein Unding und ein Ärgernis. Nur sehr weithergeholte Gründe können einen Mann dazu bringen zu heiraten. Zum Beispiel:
„Zorn: um die entfernten Verwandten zu enterben.
Verachtung für eine ungetreue Geliebte.
Überdruß am köstlichen Junggesellenleben.
Eselei, denn das Heiraten ist immer eine.
(…) Macchiavellismus: um eine Alte schnell zu beerben.
(…) Leidenschaft: um sich auf die sicherste Art davon zu heilen.“
Man muss schon kichern über den jugendlichen Zynismus des Meisters. Er war zum Zeitpunkt des Erscheinens aber auch gerade mal dreißig Jahre alt und stand voll im Saft seiner Rabelais‘schen Zügellosigkeit.
Jedenfalls führt er weiter aus, dass jeder Mann – wenn es denn unbedingt sein muss – eine tugendhafte, anständige Frau heiraten will. Leider sind von den 15 Millionen in Frankreich lebenden Frauen gerade mal 400.000 tugendhaft (dieses Ergebnis wird akribisch vorgerechnet). Aber was ist überhaupt eine Frau? Balzac: „Sie hat eine angeborene Vorliebe für eine köstliche Reinheit. Ihre Finger mögen nichts anderes berühren als glatte, weiche, duftende Gegenstände. Wie das Hermelin stirbt sie zuweilen vor Schmerz, wenn sie ihr weißes Kleid besudelt sieht. (…) Gehen ist für sie eine Anstrengung. Ißt sie? Das ist ein Geheimnis.“
Besser hätte man es wahrlich nicht zusammenfassen können. Als nächstes soll betrachtet werden, welche Aussichten ein Mann überhaupt in der Ehe hat und auf welche Art er von seiner besseren Hälfte geschwächt wird. Das klingt vielversprechend.
Beste Stelle:
Die Liste der Kriterien einer anständigen Frau. Hier nur auszugsweise:
„IX. Eine Frau, die im dritten Stock wohnt (ausgenommen in der Rue de Rivoli und in der Rue de Castiglione) ist keine anständige Frau. (…)
XIII. Die Frau eines Künstlers ist stets eine anständige Frau.“
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