BAND 88: Physiologie der Ehe, S. 51 – 96
Balzac dreht jetzt nochmal so richtig auf, was einen sehr glücklich stimmt. Nach fast einem Jahr, das man mit ihm verbracht hat, wäre es nun traurig, im Gram voneinander zu scheiden. In der fünften Betrachtung des Buches geht es um „Die Prädestinierten“, sprich: die Ehemänner, die dazu bestimmt sind, von ihren Frauen betrogen zu werden. Wer nun aber denkt, es wird auf den folgenden Seiten über die Treulosigkeit des Weibes geschimpft, der kann sich nur wundern. Denn ganz woanders stellt Balzac die Übeltäter: „Wenn Harlekin den Versuch macht, ob nicht sein Pferd sich dran gewöhnen könnte, ohne Futter zu leben, dann ist er nicht lächerlicher als die Männer, die in ihrer Ehe das Glück finden wollen, aber sie nicht mit aller erforderlichen Sorgfalt pflegen. Die Fehltritte der Frauen sind ebenso viele Anklagen gegen die Selbstsucht, Gleichgültigkeit und Nichtigkeit der Ehemänner.“
Es ist nicht leicht, ein liebender Mann zu sein. Viel Aufwand und Einfühlungsvermögen gehören dazu. Wer es nicht bringt, ist selbst schuld, wenn er betrogen wird. Balzac nimmt seine Leidensgenossen jedoch bei der Hand und gibt ihnen einen Katalog klarer Regeln:
„XXXI. In der Liebe, ganz abgesehen von allen Seelenstimmungen, ist die Frau gewissermaßen eine Leier, die ihre Geheimnisse nur dem offenbart, der sie als Meister zu spielen weiß. (…)
L. Ein Ehemann darf niemals als erster einschlafen und niemals als letzter aufwachen. (…)
LIV. Ein Mann kann sich nicht eher schmeicheln, seine Frau zu kennen und sie glücklich zu machen, als wenn er sie oft auf den Knien sieht.
Ein toller Twist jedenfalls, den Spieß einfach mal umzudrehen. So spricht kein misogyner Grobian, Balzac ist hier moderner als viele seiner 200 Jahre später lebenden Zeitgenossen.
Beste Stelle:
„Aber Leidenschaft empfinden heißt ewig begehren. Kann man immer und ewig die eigene Frau begehren?
Ja.
Die Behauptung, es sei unmöglich, immer dieselbe Frau zu lieben, ist so abgeschmackt, wie wenn man sagen wollte, ein berühmter Musiker brauche mehrere Violinen, um ein Musikstück zu spielen und eine Zaubermelodie zu schaffen.“
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