BAND 86: Der Alchimist, S. 1 – 69
Schon beim flüchtigen Durchblättern dieses 300-Seiten-Romans bemerkt man eines der Anzeichen für die Geschwätzigkeit, die Balzac zuweilen in seinem Frühwerk an den Tag legt: Keinerlei Umbrüche. So gut wie keine Dialoge! Nur eine einzige stupide Textmasse en bloc, die dann auch direkt wieder mit einer Rechtfertigung beginnt: „sollten wir wohl, im Interesse des Schriftstellers, die Notwendigkeit einer belehrenden Einführung begründen, gegen die gewisse einfältige und sensationslustige Leute allerdings protestieren, weil sie Erregungen wünschen, ohne sie entstehen zu fühlen, Blumen wollen ohne Samenkorn, ein Kind ohne Schwangerschaft.“
Eine belehrende Einführung, puh. Bei aller Liebe und Sensationslust, lieber Honoré, aber in diesem Fall liegt einem das Interesse des Lesers dann doch mehr am Herzen, als das des Schriftstellers.
Zum Inhalt: Der flämische Balthasar Claes ist eine Seele von Mensch. Letzter Nachkomme der edelsten Bürgerfamilie von Douai, verwaltet er mit großer Umsicht sein Vermögen, um seine Familie glücklich zu machen. Trotzdem wirkt Josephine zu Beginn der Geschichte im Jahr 1812 etwas angefressen. Der Grund: Seit drei Jahren experimentiert Balthasar auf dem Dachboden, hat für chemische Instrumente und Reagenzien fast sein gesamtes Geld ausgegeben. Er ist zerstreut und kaum noch ansprechbar, weder für Josephine, noch für seine Kinder. In der Stadt munkelt man, er sei auf der Suche nach dem Stein der Weisen. Zur Rede gestellt, erklärt er seiner Frau, dass er kurz davor steht, Kohlenstoff zu kristallisieren, sprich: Diamanten herstellen zu können.
So, war das so schwer? Braucht es wirklich 69 Seiten, um dieses Minimum an Handlung darzustellen? Musste unbedingt das Haus mit all seinen Zimmern und Möbeln beschrieben werden, der Garten, die Stadt, das Aussehen der Figuren? Natürlich geht es in der Arbeit des Dichters um das WIE und nicht um das WAS. Aber die Geduld des Lesers sollte nicht allzu sehr strapaziert werden. Und auch wenn das sehr modern gedacht ist: Man kann die Blume durchaus darstellen, ohne sich zig Seiten lang mit ihrem verfickten Samenkorn zu befassen. Vielleicht liegt das Ärgernis aber auch einfach am Titel dieses Romans. Den haben schließlich schon tausendmal untalentiertere Schriftsteller als Balzac verwendet, um die Menschheit zu quälen.
Beste Stelle:
Eine Aussage über das weibliche Geschlecht, die es zu prüfen gilt: „Aber sie sind ehrgeiziger in ihrer Liebe, als wir es sind, sie wollen noch mehr als nur das Herz des Mannes besitzen, sie wollen auch seine Gedanken.“
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