BAND 84: Massimilla Doni, S. 1 – 59
Und dann findet man in der sehr gemischten Qualität der Philosophischen Studien noch dieses Glanzstück, das im Venedig nach dem Wiener Kongress spielt. Die alten Nobili, die Aristokraten der Serenissima, sind durch die französische und österreichische Besatzung verarmt, die Lagunenstadt hat ihre Seele verloren. So geht es auch dem 23jährigen Emilio, dem letzten Nachkommen des Hauses Memmi, Eigentümer eines der schönsten Palazzi am Canal Grande. Aufgrund eines Habsburger-Dekrets darf er nichts von den Schätzen in seinem Besitz veräußern und hat deshalb kaum genug Geld zum Essen und Rauchen.
Immerhin ist er der Liebhaber der schönsten Frau Italiens, der Herzogin Massimilla Cataneo, geborene Doni, die von ihrem herzlosen Gatten den Rat empfing, sich einen „primo cavaliere servante“ zu nehmen. Allerdings ist die Liebe zwischen Emilio und ihr so heilig, dass sie sich gegenseitig niemals mehr gönnen als gerührte Blicke und Handküsschen.
Nach sechs Monaten, die sie auf dem Landgut der Herzogin verbracht haben, kehren die beiden nach Venedig zurück. Am Abend beginnt die Opernsaison, eine Premiere mit den berühmtesten Sängern der Zeit. Für den abgebrannten Emilio, der ironischerweise gerade auch noch den Titel „Prinz von Varese“geerbt hat (nur den Titel, kein Geld), ist das ein zusätzlicher Grund, über seine prekäre Lage zu sinnieren: „Genovese, der berühmte Tenor, erhält für seine Triller in einer einzigen Saison das Kapital der Rente, von der ein Sohn der Memmius, römischer Senatoren, deren Geschlecht so alt ist wie das der Caesar und Sulla, glücklich leben könnte.“
Als Emilio jedoch bei seinem Palazzo ankommt, findet er es wieder prachtvoll eingerichtet, sogar ein üppiges Diner steht bereit. Überzeugt davon, dass Massimilla ihm dieses Geschenk gemacht hat, haut er ordentlich rein und legt sich ins Bett. Nur um im nächsten Moment von der berühmten Sopranistin Clarina Tinti und ihrem Gönner, einem widerlichen Lustgreis, überrascht zu werden. Die beiden haben den Palazzo ohne Emilios Wissen gemietet. Die Tinti ist von dem Prinzlein in ihrem Bett so entzückt, dass sie ihren Sugardaddy fortschickt, von dem sich herausstellt, dass er der Herzog von Cataneo ist, Massimillas Mann! Huiuiui.
Emilio, sexuell ausgehungert von den holden Andachten bei seinem Idol, schläft mit der Tinti, bereut es aber am nächsten Tag. Er geht zurück zu Massimilla, die nichts von dem Seitensprung ahnt und ihn wie immer behandelt: „Als Gipfel der Wollust, als höchste Wonne, hielt Massimilla das Haupt Emilios auf ihrem Busen und wagte es von Zeit zu Zeit, ihre Lippen auf die seinen zu pressen, aber nur gleich einem Vogel, der seinen Schnabel in das reine Wasser einer Quelle taucht“. Ganz Venedig scheint davon zu wissen, dass sie Emilio am ausgestreckten Arm verhungern lässt. Was auch am Abend im Geschnatter der Oper wieder thematisiert wird. Massimilla ist allerdings nicht prüde, sie weiß einfach nicht, dass Sex eine Möglichkeit wäre.
Jedenfalls tritt die Tinti an dem Abend nicht auf, weil sie angeblich krank ist. Alle möglichen Gerüchte machen die Runde, nur Emilio weiß, dass die große Sängerin unglücklich in ihn verliebt ist. Genug Zündstoff für weitere sechzig Seiten, auf die man sich endlich mal wieder so richtig freuen kann.
Beste Figur:
Der fabelhaft widerliche Herzog von Cataneo, der nach einem Leben voller Laster nur noch bei guter Musik einen hoch kriegt: „Tausende von Weinflaschen waren unter dem purpurfarbenen Bogen dieser grotesken Nase vorbeipassiert und hatten ihre Hefe auf seinen Lippen abgelagert. Lange und ermüdende Verdauungsarbeit hatte seine Zähne fortgeschwemmt.“
Beste Stelle:
Wenn Massimilla einen überzeugten Demokraten zurechtweist:
„,Sie sind also nicht liberal?‘ sagte er.
,Gott behüte mich!‘ machte sie. ,Ich wüßte nichts, was einer Frau schlechter anstünde als eine solche Überzeugung. Würden Sie eine Frau lieben können, die die Humanität im Herzen trägt?’“
Um Gottes Willen, nein!
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