Endlich hat man die Freigabe für den Biographie-Text erhalten. Man kann sich also daran machen, den Buchblock zu setzen. Bereits im Vorfeld wurde man von der Freundin gewarnt, dass dies weitaus komplizierter sei, als man denkt. Beliebteste Aussage in diesem Zusammenhang: „Setzer ist ein Ausbildungsberuf!“ Man macht sich trotzdem frisch ans Werk, für stupide Tätigkeiten ist der Bierbrunnen gerade recht.
Man kommt gut voran, verändert hier und da einen Absatz, um Schusterjungen und Hurenkinder zu vermeiden. So die Setzer-Slang-Begriffe für durch den Seitenumbruch entstehende Einzelzeilen, die es, soviel weiß man bereits, zu vermeiden gilt. Nach nur dreieinhalb Stunden ist man durch das 140-Seiten-Werk durch, bestellt sich das vierte Bier und denkt: Ausbildungsberuf? Papperlapapp. Vielleicht früher, als man noch mit Platten und gegossenen Lettern arbeiten musste. Wenn das Setzen so einfach ist, wird man das in Zukunft immer selbst machen und sich dafür bezahlen lassen. Dann kommt der Moment, in dem man Bilder in den Text einfügen möchte.
Es fängt gut an, man schafft es sogar, sie mit Unterschriften zu versehen. Doch bereits nach dem dritten hochauflösenden Bild ist die word-Datei mehr als 10 MB groß und beginnt, sich merkwürdig zu verhalten. Auftritt des Geistes in der Maschine. Gespeicherte Layouts verändern sich, nachdem man die Datei neu öffnet, das Programm ruckelt und ächzt, schließlich stürzt alles ab und lässt sich auch nicht mehr öffnen. Man hat also Gelegenheit, die eigenen Setzer-Skills weiter zu üben.
Um zwischenzeitlich nicht den Verstand zu verlieren, schreibt man eine Cool trotz Kind – Kolumne, die am 2. August in die vierte Staffel geht. Bei der Gelegenheit arbeitet man gleich noch ein wenig am Ratgeber, das Thema ist schließlich das gleiche. Dabei versucht man die Faschos zu ignorieren, die schon seit einer Stunde auf der Musikbox Andrea Berg auflegen und jedes Mal „Sieg Heil“ rufen, wenn ihnen am Billardtisch etwas gelingt. Man hat im Bierbrunnen schon einmal aufs Maul gekriegt, als man sich für den Staat Israel einsetzte. An dem Abend hatte man allerdings nicht den Laptop dabei.
Nach sechs Stunden Arbeit ist man betrunken. Hackedicht und Unterschicht. Man weiß, dass man sich in Zukunft nicht mehr mit dem Satz herumärgern sollte. Das ist immerhin ein Ausbildungsberuf. Man packt seinen kostbaren Laptop ein, zahlt den Deckel, möchte sich in den rechtschaffenen Feierabend verabschieden, da fällt es einem wie Tauben von der Stange: Man hat die Stunde Balzac vergessen! Lucien und Esther und Nucingen haben vergeblich gewartet, um einen mit ihrem Quatsch vollzulabern. Shame on you, denkt man auf dem Nachhauseweg. Shame on you.
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