Der Morgen danach. An sich sollte der Herrentag ein arbeitsamer Tag werden. Ein Tag der Disziplin, denn man hat nur noch Zeit bis November, um zwei Bücher schreiben. Nach der morgendlichen Stunde Balzac wollte man deshalb rasch frühstücken, um sich danach in einen acht- bis zehnstündigen Schreibmarathon zu stürzen. Einkauf bei Denn’s Biomarkt am Gesundbrunnen-Center, der an Sonn- und Feiertagen geöffnet hat. Auf dem eiligen Heimweg, man ist gedanklich schon mit den Textmassen beschäftigt, die sich vor einem auftürmen, merkt man, dass der Bierbrunnen geöffnet hat. Es ist schließlich Herrentag. Man setzt sich zwischen eine Bollerwagen-Clique aus Prenzlau an den Tresen und bestellt Bier.
Um halb zwölf spielt man mit dem Gedanken, auch den Rest des Tages laissez-faire-mäßig anzugehen. Es ist schließlich Herrentag. Und man ist keine Maschine. An guten Argumenten fehlt es in solchen Momenten nie. Zuhause englisches Frühstück und Mittagsschlaf. Danach weiteres Bier und fünf Folgen Californication, 4. Staffel, die beste von allen. Zwei große Gin Tonics.
Leicht angetrunken besteigt man einen E-Scooter und düst nach Moabit zum abendlichen Auftritt. Lesung bei den Brauseboys im Hof der Kulturfabrik. Gin Tonic und Bier. Während man die eigene Textgewalt aufs Publikum loslässt, biegt ein Sturm Pappeln um, rüttelt am Pavillon, unter dem man am Mikro steht.
Es ist Herrentag. Man hat keine einzige Zeile geschrieben.
Es war ein guter Tag. Man ist schließlich keine Maschine.
BAND 33: Die alte Jungfer, S. 1 – 30
Endlich ein neuer Band, aus der Sicht des allwissenden Meisters erzählt, und nicht des weinerlichen Felix de Vandenesse mit seiner Lilie im Tal. Hauptfigur ist der 58jährige Chevalier du Valois, eine vielversprechende Figur, bei der Assoziationen an Rabelais aufkommen. Im provinziellen Alençon gilt alles, was er tut, als der letzte Schrei, auch wenn es schrullig daherkommt: „Der Ritter stopfte sich Watte in die Ohren und trug zwei kleine, wundervoll ausgeführte Ohrringe, die Negerköpfe aus Diamanten darstellten, er rechtfertigte dies seltsame Anhängsel mit der Behauptung, seine Migräne sei seit der Durchstechung der Ohrläppchen verschwunden.“
An der Tafel isst er wie ein Menschenfresser, schnupft Tabak aus einer goldenen Dose, und ist auch sonst kein Kind von Traurigkeit. Er „besaß auch die Tugend, seine Bonmots nicht zu wiederholen und niemals von seinen Liebschaften zu sprechen, aber sein anmutiges Lächeln war eine einzige köstliche Indiskretion.“
Sein einziges Problem: Er ist völlig verarmt, lebt zur Miete bei einer Wäscherin und muss sich Abend für Abend von seinen diversen Aristo-Freunden durchfüttern lassen. Sein Plan: Er will die alte, reiche Jungfer Fräulein Cormon heiraten. Allerdings ist er da nicht der einzige, sein Nebenbuhler Herr du Bousquier, „von mittlerem Wuchs, fett wie ein Heereslieferant“, hat das Gleiche vor.
Herr du Valois, der mit den kleinen Wäscherinnen aus seinem Haus auf vertrautem Fuß steht, setzt deshalb eine von ihnen, die hübsche Suzanne, auf du Bousquier an. Sie soll ihn um den Finger wickeln: „der Ritter traute seinem Rivalen starke Chancen zu, sonst hätte er ihm nicht einen so wohlüberlegten und tödlichen Hieb mit einer so scharfen Klinge wie Suzanne versetzt.“
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