Eugenie Grandet, Teil I

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BAND 30: Eugenie Grandet, S. 1 – 50

Neuer Roman, neues Glück. Dieser spielt in der Provinzstadt Saumur und handelt vom vermutlich größten Geizkragen der Comédie humaine, dem Böttchermeister Grandet. Als Kriegsgewinnler der Revolutionstage hat er sich zum Großgrundbesitzer aufgeschwungen, in der von Neugier und gossip beherrschten Stadt schätzt man sein Vermögen auf fünf bis sechs Millionen. Was natürlich kein Grund ist, nicht noch mehr Kohle anzuhäufen: „In Geldgeschäften hielt Herr Grandet es mit dem Tiger und der Boa constrictor: er verstand es sich hinzukauern, zu ducken, seine Beute lange ins Auge zu fassen, drauflos zu springen; dann öffnete er den Rachen seiner Börse, verschlang in ihr eine Ladung Taler und legte sich ruhig nieder, wie die Schlange, die verdaut, ungerührt, kalt, methodisch.“
Da seine Tochter Eugenie bald heiratsfähig wird, überbieten sich die reichen Familien der Stadt in ihrer Schleimerei, obwohl der alte Böttcher natürlich ein Stoffel vor dem Herrn ist: „Im übrigen gebrauchte er für gewöhnlich vier Sätze exakt wie algebraische Formeln, um alle Schwierigkeit im Leben und Beruf anzupacken und aufzulösen: ich weiß nicht, ich kann nicht, ich will nicht, das wird sich finden. Er sagte niemals ja oder nein und gab nichts schriftlich.“

Hier vielleicht ein Vorgeschmack, WIE geizig der Alte ist: er kauft sich ein Schloss für drei Millionen Francs, besucht es aber erst, als sowieso eine Kutsche hinfährt, die ihn mitnehmen kann. Geheizt wird trotz Frost nur von November bis März, Frau und Tochter müssen wie Sklaven tagein tagaus die Wäsche ausbessern. Wenn er doch mal etwas hergeben muss, zum Beispiel an seine hündische Magd, macht er daraus ein Riesending: „Niemals hatte der Herr der Magd die Pfirsiche oder die Pflaumen oder die Birnen mißgönnt, die unter den Bäumen lagen. ,Laß es dir schmecken, Nanon‘, sagte er in den Jahren, in denen die Zweige unter der Last der Früchte brachen und die Pächter die Schweine mit dem Obst füttern mußten.“
Als Eugenie dreiundzwanzig wird, kommen sofort die Cruchots und die Grassins mit ihren heiratsfähigen Söhnen angeschlappt und versuchen sich gegenseitig mit exotischen Geschenken auszustechen. Plötzlich klopft es aber an der Tür und ein fescher Pariser Dandy steht vor der Tür, es ist der Vetter Charles Grandet. Der unschuldigen, weltfremden Eugenie wird direkt blümerant zumute.

Beste Figur:

Die liebe Magd Nanon: „Mit zweiundzwanzig Jahren hatte das arme Mädchen nirgends eine Stelle finden können, so abstoßend wirkte ihr Gesicht, und wahrhaftig war dies Urteil höchst ungerecht: ihr Gesicht wäre sehr bewundert worden – auf den Schultern eines Gardegrenadiers. Aber alles, wo es hingehört, sagt man. (…) Weder die Warzen, die dies martialische Gesicht zierten, noch der ziegelfarbene Teint, noch die nervigen Arme, noch die Lumpen der langen Nanon flößten dem Böttcher Abscheu ein, obwohl er sich noch in dem Alter befand, in dem das Herz empfindsam ist.“

Beste Stelle:

Wenn der alte Böttcher angesichts seiner Magd sentimental wird: „Manchmal, wenn Grandet daran dachte, daß diese arme Person niemals das kleinste schmeichelhafte Wort gehört hatte, daß sie nichts von all den süßen Empfindungen wußte, die Frauen einflößen, und daß sie eines Tages noch keuscher vor Gott hintreten konnte, als selber die heilige Jungfrau Maria, dann sagte Grandet, von Mitleid ergriffen, wenn er sie ansah: ,Die arme Nanon!‘“

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2 Gedanken zu “Eugenie Grandet, Teil I

  1. Pingback: Der berühmte Gaudissart | CLINT LUKAS

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