BAND 29, Der berühmte Gaudissart
Eine kurze Erzählung mit vielen Rabelais-Bezügen, und genauso spaßig wie die Eskapaden Pantagruels. Gaudissart ist ein in Stadt und Land berüchtigter Handlungsreisender, heutzutage würde er vermutlich Bestseller über Money-Maker-Strategien schreiben: „Mit der Beredsamkeit eines Warmwasserhahns, den man nach Belieben öffnet, begabt, kann er, ohne jemals fehlzugreifen, seine Kollektion vorbereiteter Phrasen schließen und wieder zur Hand nehmen, die ununterbrochen strömen und auf sein Opfer wie eine seelische Dusche wirken.“
Bisher hat er hauptsächlich Hüte und Textilien verkauft, entdeckt jedoch zu Beginn der Geschichte das ebenso vielversprechende, wie sympathische Geschäft „mit den unendlich viel reineren Gebilden der Intelligenz“, soll heißen: Zeitungsabonnements und Versicherungen. Die entsprechenden Firmen stellen ihm saftige Prämien in Aussicht, also zieht er ins Land, um zu tun, was er am besten kann: „das Publikum mit neuen Ideen spicken, es in Unternehmungen einwickeln, es mit Prospekten braten, es mit Schmeicheleien aufspießen und es schließlich in irgendeiner neuen Soße verspeisen, in der es herumschwimmt und sich berauscht wie die Fliege im Spiritus.“
Dummerweise sucht er sich für seinen Raubzug ausgerechnet die Touraine aus, die Heimat Rabelais‘, deren Bevölkerung ebenso fröhlich, wie durchtrieben ist. Er gerät auch direkt an den reichen Färber Vernier und versucht ihn in seine Netze zu verstricken. Sofort hat man die Bauernfänger von Amnesty International vor Augen, wie sie vorm Gesundbrunnen-Center kesse catchphrases raushauen: „Der junge Mann mit der coolen Jacke, hast du mal kurz 5 Minuten Zeit?“
Vernier lässt sich aber nicht lumpen und schickt den Vertreter direkt zum Dorfirren Margaritis. Sollte Gaudissart es gelingen, eine Lebensversicherung zu verkaufen, werden die Honoratioren der Stadt sofort nachziehen.
Das Gespräch gerät natürlich zur Farce, bei der die beiden vollkommen aneinander vorbeireden. Als Gaudissart schließlich herausfindet, dass er verarscht wurde, fordert er den alten Vernier zum Duell. Allerdings haben die beiden nicht wirklich Lust sich zu töten und laden ihre Pistolen deshalb so, dass die Schüsse daneben gehen: „Am andern Morgen trafen sich die beiden Gegner etwas verlegen an der Flußbrücke. Der tapfere Vernier hätte fast eine Kuh totgeschossen, die zehn Schritt von ihm am Wegrand stand.“
Man umarmt sich und geht gemeinsam ins Wirtshaus. Rabelais hätte es nicht schöner schreiben können.
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