BAND 27: Beatrix, S. 348 – 398
Das junge Ehepaar zieht nach Paris und kriegt einen Sohn. Sabine „beging dabei die Torheit, ihn selbst zu nähren.“ Eine Torheit, weil das Kind bei der Entwöhnung unleidlich wird und sich erlaubt zu schreien, was für den sensiblen Calyste sehr ärgerlich ist. Um ihn nicht noch mehr zu vergrätzen, schickt Sabine ihn ins Theater, wo er prompt auf Béatrix trifft. „Nie hatte er diese Frau vergessen, wiederholt hatte er sich ihr in seiner Gattin vermählt, was Sabinen auch nicht entgangen war!“
Inzwischen ist die Marquise vom Musiker Conti verlassen worden und hat den Zenit ihrer Schönheit längst überschritten, sie „sah aus wie eine blumengeschmückte Ruine.“ Trotzdem erwacht Calystes Leidenschaft von Neuem, und als reicher, verheirateter Mann ist er nun auch interessant für Béatrix. Sie wickelt ihn so um den Finger, dass er bereits am nächsten Tag zu ihr eilt und das Glück mit seiner treuen Gattin riskiert. „Mag sein, daß der Mann von dem Lehm, aus dem er geschaffen ist, in seinem Wesen noch etwas zurückbehielt und daß ihm daher der Schlamm behagt.“
Die Affäre fliegt nach kürzester Zeit auf, einerseits weil Calyste so ein ungeschickter Lügner ist, vor allem aber, weil Béatrix es so will: „In ihrer Einsamkeit hatte sich das wilde Ungestüm der Franken, die Bosheit der Normannen entwickelt, und ihr verlangte aus Rache nach einem unerhörten Skandal.“ Sabine erleidet bei dieser Entdeckung einen solchen Schock, dass sie daran zu sterben droht. Man fragt sich, warum man selbst in solchen Situationen immer nur wie ein Guppy dagesessen und die Wand angestarrt hat. Ist man abgestumpft? Warum kann man an Liebeskummer nicht so spektakulär leiden, wie eine Balzac-Figur? „Die jähe Einwirkung einer Eiseskälte auf ihr entflammtes Herz drohte sie zu töten. (…) Ihre Haare stachen ihr wie glühende Nadeln ins Gehirn. Ihr siedendes Blut schien sich mit den Nerven zu vermischen und durch die Poren zu dringen. Sie war eine Weile blind und rief: ,Ich sterbe!‘“
Um sie zu retten, beschließt das soziale Umfeld sie anzulügen und Calystes Affäre zu vertuschen. Sabine kommt jedoch dahinter und versucht fortan, Calyste zurück zu erobern, indem sie Béatrix in ihren Reizen kopiert. Das kann natürlich kaum gelingen, was Calyste ihr auch unverblümt aufs Brot schmiert: „Nichtsdestoweniger verließ Sabine aller Mut, als sie sich ihm eines Abends in einer Toilette zeigte, wie sie nur eine Frau ersinnt, die über eine andere triumphieren will, und Calyste lachend ausrief: ,Du kannst machen, was du willst, Sabine, aber du bist und bleibst immer nur eine schöne Andalusierin!‘
(…) Sie ging in ihr Zimmer, riß sich die Blumen aus dem Haar, entkleidete sich, und zertrampelte Kleid und Blumen unter ihren Füßen – genau so wie eine Ziege, die sich in der Schlinge ihres Seils verfängt und so lange daran zerrt, bis sie den Tod kommen fühlt.“
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