Eine Evatochter, Teil III

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Um das fossile Hirn, vor allem das ständig beschäftigte Sprachzentrum zu entlasten, war man am Montag mal wieder bei Sven im Restaurant. Allerdings nicht zum Abstürzen, sondern zum Kochen. 13 Pax, Vorstandssitzung der Kanzlei, drei Stunden Vorbereitungszeit für vier Gänge:
Rosenberg-Garnele / Mango / Avocado / Koriander
– Müritz-Zander auf Blutwurst-Graupen
– Fläminger Hirschkalbsrücken / Portwein-Charlotten & Bärlauch-Kartoffel-Püree
– Dreierlei von der Williams-Birne

Nachdem die erste blöde Frage „Wat is‘n ne Rosenberg-Garnele?“ beantwortet war, konnte direkt losgelegt werden. Dazu sanftes Berliner Kindl, statt wie üblicherweise Schnaps. Frischmachen nur mit homöopathischer Dosis.

Die eigenen Arbeitsschritte:
Hirschrücken parieren, mit Zitronenschale, Knoblauch, Thymian, Rosmarin marinieren, Abschnitte bei 200 Grad im Ofen rösten für Soße.
Gatower Kugeln schälen, sechsteln und blanchieren.
Zuckerschoten blanchieren, Kräutersaitlinge, grünen Spargel und Schluppen schneiden.
Avocado und Mango würfeln und sofort mit Zitronensaft beträufeln, damit sie nicht oxidieren. Mit Kirschtomaten, roter Zwiebel, Koriander, Pfeffer, Chili, Salz zum Chutney verrühren, kaltstellen.
Graupen kochen und abschütten, zerkleinerte, hausgemachte Blutwurst unterrühren, gehackte rote Zwiebeln dazugeben.
Zucker karamellisieren, mit Portwein ablöschen, grob geschnittene Schalotten zugeben und köcheln, nach und nach zwei Flaschen Portwein darin reduzieren.
Kartoffeln kochen und pressen, mit Butter verrühren, abdecken.

Svens Arbeitsschritte:
Die Hirschkalb-Abschnitte zusammen mit der im Mittagsgeschäft angesetzten Brühe kochen, passieren, reduzieren.
Birnen zu einem Rührkuchen, einer Creme und blanchierten Filets verarbeiten, Zucker karamellisieren und mit Sahne zu Toffee verarbeiten.
Paprikaschaum und Bärlauch-Smoothie vorbereiten.
Tiefgekühlte Brötchen mit Maschine fein aufschneiden und im Ofen zu Brotchips backen.
Garnelen schälen. Zander filetieren und portionieren.

Nachdem die Gäste platziert und mit Sekt versorgt sind, geht man in die Endzubereitung:
– Chutney mit einem Stempel zu flachen Zylindern formen, Brotchip anlegen. Mit kalt marinierten Buchenpilzen, Pinienkernen und Paprikaschaum garnieren, gebratene Garnelen platzieren, raus.
– Graupen und Bluwurst mit Butter und Brühe zu einer Art Risotto verrühren, auf Teller geben, gedünsteten Spargel und Schluppen platzieren, Zander auf der Haut braten, raus.
– Hirschrücken scharf anbraten, 10 Minuten im Ofen garen, ruhen lassen. Kartoffeln mit Bärlauch zum Püree verrühren, in Form einer erstarrten Welle auf Teller platzieren. Gegarte Zuckerschoten, Kräutersaitlinge und Gatower Rübchen anlegen, Hirschrücken schneiden und auflegen, mit Portwein-Charlotten und Soße garnieren, raus.
– Birnenkuchen platzieren, Birnencreme und Toffee mit heißen Löffeln zu Ellipsen formen und anlegen, Birnenfilets zugeben, Kuchen mit Zucker bestreuen, flambieren, raus.

Dazu gibt es für einen selbst Spätburgunder und Hirschkalb-Abschnitte in einem toten Winkel der offenen Küche. Sowieso die liebste Art zu essen: Verstohlen und im Stehen. Nach beendeter Verköstigung wird applaudiert. Einer der Vorstandsmitglieder fragt, ob es diese köstliche Soße nicht auch mal zum Mittagstisch im Laden geben kann. Sven verneint, ein Löffel davon würde in der Herstellung einen Euro kosten. Man geht nach Hause, verlässt das Restaurant dabei zum ersten Mal seit Jahren fast nüchtern.

BAND 25: Eine Evatochter, S. 51 – 75

Obwohl Marie Angelika weiß, dass sie damit ihrem Ehemann Unrecht tut, nähert sie sich auf der Party dem krabbenartigen Raoul Nathan. Sie ist von seiner Kraft so hingerissen, dass sie fast ohnmächtig wird, was auch alle im Salon mitkriegen, außer Nathan selbst. Der ist nämlich viel zu sehr damit beschäftigt, die Rampensau abzugeben. Erst seine Kumpels Rastignac und Emile Blondet machen ihn beim Absacker auf seinen Erfolg aufmerksam.
Großer Ball bei Lady Dudley ein paar Tage später. Nathan erkennt beim Beobachten seiner erfolgreichen Aristofreunde, dass sein politisch korrektes Gequatsche ihn nicht weiter bringt. Er braucht ebenfalls eine adlige Gönnerin: „Dieser, in der Glut des wilden Verlangens erzeugte Gedanke erfüllte ihn, als er sich auf die Gräfin von Vandenesse stürzte, wie ein Sperber auf seine Beute. Das holde Geschöpf in seinem Schmuck von Marabufedern (…) wurde durch die kochende Energie des vor Ehrgeiz rasenden Dichters betört.“
Weiß Gott, gegen ehrgeizige Dichter helfen nicht mal Marabufedern.
Um die verhängnisvolle Affäre voranzutreiben, lenkt die biestige Natalie von Manerville derweil Felix ab, schließlich ist sie immer noch sauer wegen der beendeten Liebschaft aus Der Ehekontrakt. Derart bevollmächtigt wickelt Nathan die brünstige Gattin gnadenlos um den Finger: „Er spielte seine Schlangenrolle so gut, ließ den Apfel des Sündenfalls vor den Augen der Gräfin in so leuchtenden Farben prangen, daß Marie, als sie den Ball verließ, von Gewissensbissen gepeinigt wurde, die zugleich holde Hoffnungen waren.“

Balzac scheint selbst zu spüren, dass nach solchem Gefühlsfeuerwerk erst mal ein Break nötig ist. Er beruhigt mit ein paar Hintergrundinfos zu Raoul Nathan. Der lebt recht ärmlich in einer Dachkammer, verbringt aber die meiste Zeit bei seiner Geliebten, der Schauspielerin Florine. Es folgt eine der typischen Balzac-Beschreibungen, die ebenso hübsch wie verwirrend sind. Man hätte gern einen Phantombildzeichner bei der Hand, der danach ein Porträt fertigt: „Wandte sie den Kopf, so entstanden an ihrem Halse wundervolle Falten, die Bewunderung der Bildhauer. (…) Die Schminke hatte die holde Durchsichtigkeit ihrer zarten Wangen zerstört, aber wenn sie auch nicht mehr erröten und erblassen konnte, so hatte sie doch ein Näschen mit rosigen, leidenschaftlichen Nasenflügeln (…) Ihr sinnlicher, verschwenderischer Mund, ebenso geschaffen zur Bosheit wie zur Liebe, wurde durch die beiden Ränder der Furche verschönt, die die Oberlippe mit der Nase verbanden. Ihr weißes, etwas starkes Kinn deutete auf ein gewisses Ungestüm in der Liebe.“
Also was jetzt? Ist sie nun hübsch oder eher ein kubistisches Meisterwerk?
Auf jeden Fall ist sie fleißig. Einfühlsam beschreibt der Meister den harten Schauspieleralltag abseits des Bühnenglanzes. Einen Teil ihres Erfolges verdankt Florine dem journalistischen Eifer ihres Lovers Nathan. Dafür würde sie sich gern revanchieren, weiß jedoch nicht, wie. Höchste Zeit für ihn, sich woanders Protektion zu suchen.

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3 Gedanken zu “Eine Evatochter, Teil III

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