Am Wochenende mal wieder einen Disneyfilm mit dem Kind geschaut. Da gibt es ja immer was zu entdecken, vor allem, wenn historische Ereignisse verwurstet werden. Zum Beispiel beim Film Dinosaurier, die Geschichte eines Flüchtlingstrecks drolliger Reptilien, die nach einem Meteoriteneinschlag eine neue Heimat suchen. Bei der Thematik fragt man sich schon, wie der Drehbuchautor die Kurve zum Happy End kriegen will.
Genauso beim Film Pocahontas, in dem es um nicht weniger geht, als die Ankunft des weißen Mannes in der neuen Welt. Das ging ja angeblich für eine Seite nicht so gut aus. Die Disney-Studios sind sich aber nicht zu schade, den englischen Mythos der friedlichen Besiedlung nachzuerzählen, inklusive Liebesgeschichte zwischen der namengebenden Häuptlingstochter und dem Völkermord-erprobten Haudegen John Smith. My daughter loves it.
Beste Neuentdeckung aber an diesem Wochenende: Anastasia. Ein Film über die letzte überlebende Enkelin des Hauses Romanov. Die Disney-Version der Ereignisse von 1917 in wenigen Worten: Der böse Zauberer Rasputin verflucht die Zarenfamilie und setzt dabei dunkle Miasmen frei, von denen das bis dahin glückliche russische Volk in die Unzufriedenheit und die Revolution getrieben wird. Ziemlich schöner Soundtrack. Antikommunistische Propaganda in Musical-Form. Was in den Fifties gut war, kann 1997 nur noch besser sein.
BAND 25: Eine Evatochter, S. 1 – 25
Sehr gehaltvolle 25 Seiten, für die eine Stunde kaum zum Lesen reicht. Hauptfiguren sind die beiden Schwestern de Granville, die zu Beginn der Geschichte etwas geknickt in ihrem Boudoir sitzen. Man erfährt, dass es für die beiden früh im Leben losging mit den Schikanen. Aufgezogen von ihrer Mutter, „einer frömmelnden, beschränkten Frau“, waren ihre Freizeitaktivitäten bisher auf Kirche und Stickereien begrenzt, selbst Bücher schienen zu heikel: „Ihre Lektüre am Abend bestand in lautem Vorlesen erlaubter Bücher, wie der ‚Erbauungsbriefe‘ und der ‚Literaturstunden‘ von Noël, und zwar in Gegenwart des Seelsorgers ihrer Mutter, denn es konnten doch Stellen vorkommen, die ohne geschickte Erläuterungen ihre Phantasie erregt hätten.“ Das gilt es natürlich zu vermeiden. Auch bei der Erziehung der eigenen Tochter stehen einem die Haare zu Berge bei dem Gedanken, ihre Phantasie könnte erregt werden.
Als Teenagerinnen dürfen die Schwestern zwar wenigstens den ein oder anderen Ball besuchen, doch natürlich bestimmt der allgegenwärtige Mutterdrachen die Toilette: „Die armen Dinger trugen höchst schickliche Ballkleider, Musselinroben, die bis zum Kinn reichten, mit einer Unzahl von Rüschen überladen und mit langen Ärmeln. Diese Kleidung, die ihre Anmut verbarg und ihre Schönheit verhüllte, gab ihnen eine entfernte Ähnlichkeit mit ägyptischen Mumiensärgen. Immerhin tauchten aus diesen Kattunsäcken zwei entzückend schwermütige Gesichter hervor.“
Nicht mal der Umgang mit ihren Brüdern ist ihnen erlaubt, schließlich werden die vom Vater aufgezogen. Nur verständlich, dass die Schwestern sich so schnell wie möglich verheiraten lassen, um dem Terrorregime zu entkommen. Die ältere, Marie Angelika, erwischt es mit dem adligen Felix de Vandenesse ganz gut, allerdings ist dafür eine enorme Mitgift erforderlich. Die man sich wieder hereinholt, indem die jüngere Marie Eugenie an den Banker und Emporkömmling Ferdinand du Tillet verschachert wird, ein schlimmes Früchtchen, der zusammen mit dem Baron Nucingen schon etliche Häuser ruiniert hat. Auch mit seiner Gattin springt er nicht gerade zimperlich um, sodass sie sich bald wieder in den Klosterkerker ihrer Mutter zurücksehnt.
Zurück in der Ausgangsszene klagen die beiden Schwestern sich gegenseitig ihr Leid, schließlich fragt Angelika ihre jüngere Schwester, ob sie ihr 40.000 Franken pumpen kann. Sie werden von du Tillet überrascht, der sogleich ein Komplott wittert. Er stellt Eugenie zur Rede, die sich nur in Ausflüchte retten kann. Er belässt es dabei, für den Moment, aber man ahnt, dass da noch ein Hühnchen zu rupfen ist: „Er zuckte die Achseln und folgte seiner Frau, oder besser seiner Sklavin.“
Beste Stellen:
Wenn die Töchter Granville mit ihrer Mutter Sonntagsspaziergänge nach englischem Muster machen, „d.h. nach dem Grundsatz: ‚Wir wollen nicht so schnell gehen, sonst sieht es aus, als gingen wir zu unserm Vergnügen.‘“
Wenn Balzac die Qual der Wahl des heteronormativen Mannes beschreibt: „Ein Mann muß entweder ein sehr erfahrenes Mädchen heiraten, das die Zeitungsannoncen gelesen und sich seinen Vers darauf gemacht hat, das mit tausend jungen Männern Walzer und Galopp getanzt hat, in alle Theater gegangen ist, Romane verschlungen hat, der ein Tanzmeister die Knie gelenkig gemacht hat, indem er sie gegen die seinen drückte, das nicht nach Religion fragt und sich seine eigene Moral geschaffen hat, – oder ein unwissendes, reines junges Mädchen, wie Marie Angelika und Marie Eugenie.“ Wahrhaftig, es ist nicht leicht.
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