Vater Goriot, Teil II

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Gleich zu Beginn der heutigen Lektüre eine Stelle, die einen zu mehr Fleiß im Alltag anstachelt: „Von zehn Nächten, die junge Leute für die Arbeit bestimmen, opfern sie sieben dem Schlaf. Um zu wachen, muß man über zwanzig Jahre alt sein.“
Die Selbstverständlichkeit, mit der hier die Nachtruhe in Frage gestellt wird, hat etwas Frappierendes. Erinnert einen aber wieder an Balzacs Arbeitsrhythmus. Jede Nacht bei geschlossenen Vorhängen acht bis zehn Stunden schreiben, kurze Pause für ein Bad und ein kleines Frühstück, dann sieben bis acht Stunden Überarbeiten der Korrekturfahnen, die aus den verschiedenen Druckereien eintrudeln. Und da ist man schon stolz, wenn man mal an zwei Büchern gleichzeitig sitzt.
Weitere Werke, die zu mehr Disziplin inspirieren: Meine Schreibmaschine und ich von Thomas Glavinic, Schreie vom Balkon von Charles Bukowski, Arbeit und Struktur von Wolfgang Herrndorf. Letzteres vor allem, weil man beim Lesen jedes Mal denkt, dass man ja nicht auf den tödlichen Hirntumor warten muss, um sein Pensum zu verzehnfachen.

BAND 14: Vater Goriot, S. 45 – 98

Durch die neugierigen Dienstboten der Pension erfährt man, dass Vater Goriot sein Silber versetzt hat, um Anastasie von Restaud beim Wucherer Gobseck auszulösen. Für die Dauergäste ein Beweis, dass sie seine Mätresse sein muss. Tatsächlich wirkt der alte Nudelfabrikant wie ein Zombie, wenn er beim Essen sitzt. Nur bei der Erwähnung von Anastasies Namen leuchtet sein Gesicht auf. Rastignac beschließt der Sache auf den Grund zu gehen.
Zu arm, sich eine Kutsche leisten zu können, spaziert er zu Fuß zu Anastasie. Dabei versaut er sich Schuhe und Hosenaufschläge im Pariser Schlamm, muss nochmal zur Reinigung im Palais Royal haltmachen. „Wenn ich reich wäre (…) hätte ich mir einen Wagen geleistet und hätte dann ungestört meinen Gedanken nachhängen können.“ Das denkt man auch jedes Mal, wenn man zwischen Obdachlosenzeitungsverkäufern und schreienden Spinnern in der U8 sitzt. Leider sind Taxis auch keine echte Alternative, weil die Fahrer immerzu Radio hören. Kein Mensch kann seinen Gedanken nachhängen, wenn einem die Black Eyed Peas ins Ohr schreien.

In Anastasies Salon trifft Rastignac auf den arroganten Maxim de Trailles und erst jetzt klingelt es, dass diese Figuren einem bereits in Gobseck begegnet sind. Anastasie, bzw. die Gräfin von Restaud ist die unzuverlässige Mutter, die sich und ihre Kinder ruinieren wird. Als Rastignac den Namen Goriot ausspricht, wird er vom Grafen Restaud zur Tür geleitet, der seinen Diener auch sofort anweist, ihn nie wieder vorzulassen.
Rastignac, dem klar ist, dass er unwissentlich eine Dummheit begangen hat, fährt zu seiner Gönnerin Frau von Beauséant, um sie um Rat zu fragen. Die Schönheit ihres Palais‘ blendet den armen Schlucker: „Der Dämon des Luxus wurde seiner Herr, das Fieber nach Besitz packte ihn, der Durst nach Gold trocknete ihm die Kehle aus.“
Und endlich erfährt er die Wahrheit: Anastasie ist tatsächlich eine geborene Goriot, ebenso wie ihre Schwester Delphine, die mit dem Baron von Nucingen verheiratet ist. Ihr Vater hat diese Ehen gestiftet, weil er sich so erhoffte, seinen Lebensabend in zwei schönen Salons verbringen zu dürfen. Doch wie es so ist im Leben, schneiden ihn seine Töchter seit sie verheiratet sind, und suchen ihn nur auf, wenn sie Kohle brauchen. „Dieser Vater hatte alles gegeben. Zwanzig Jahre hindurch hat er seine Liebe, seine Eingeweide geopfert, sein Vermögen an einem Tage verschwendet. Als die Zitrone ausgepreßt war, haben die Töchter die Schale in den Ascheimer geworfen.“

Die Gräfin von Beauséant rät Rastignac, die Schwestern gegeneinander auszuspielen. Da Delphine nur mit dem Parvenü Nucingen verheiratet ist, sind ihr die echten Adelssalons versperrt. Rastignac erhält deshalb die Erlaubnis, sie zu einer Party bei Frau von Beauséant mitzubringen. Dadurch wird sie ihm aus der Hand fressen, und er kann mit ihr Anastasie eifersüchtig machen. „Je kühler Sie rechnen werden, desto schneller werden Sie vorankommen. Schlagen Sie unbarmherzig zu, und Sie werden gefürchtet werden. Betrachten Sie Männer und Frauen wie Postpferde, die bei jeder Station verrecken können, und Sie werden den Gipfel Ihrer Wünsche erreichen.“

Beste Stelle:

Der Moment, in dem einem klar wird, dass man durch die Lektüre früherer Bände Geheimnisse kennt, die den handelnden Figuren verborgen sind.

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2 Gedanken zu “Vater Goriot, Teil II

  1. Pingback: Vater Goriot, Teil I | CLINT LUKAS

  2. Pingback: Vater Goriot, Teil III | CLINT LUKAS

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