Während man noch im Bett liegt und sich mit Fieberträumen herumschlägt, erhält man eine E-Mail der Verleih-Firma, die die Neuverfilmung von Verlorene Illusionen in die deutschen Kinos bringt. Wer diesem Blog aufmerksam gefolgt ist, weiß natürlich längst, dass dieses Buch trotz gewisser Makel zu den besten Bänden der Comédie humaine zählt. Wenn es nicht überhaupt das allerbeste ist. Besagter Film hat bereits die Goldene Canne in Palmes gewonnen. Auch Freund Stefan in Wien hat ihn bereits gesehen, weil er dort merkwürdigerweise schon in den Kinos lief, und war angenehm überrascht. Ab 22.12. ist der Streifen nun auch hier zu besichtigen und natürlich wurde man als renommierte Balzac-Expertin gefragt, ob man eine Rezension schreiben möchte.
Den Preview-Link hat man vor zwei Stunden erhalten, man muss nur noch den letzten Rest Hirnzellen mobilisieren, die nicht von Fieber und Viren zerfressen wurden. Dann kann es losgehen, borniert und selbstbewusst wird man hier den Filmkritiker spielen. Und darf sogar ein Merch-Paket der Verleih-Firma inklusive Kinokarten verlosen. Geschenke, Geschenke, Geschenke.
BAND 75: Der Requisitionär
1793, mitten in der Zeit der Terrorherrschaft. Den Aristos geht es an den Kragen, doch Madame de Dey war so klug, sich erstens aufs Land zurückzuziehen, und zweitens einen Salon zu eröffnen, in dem jeder willkommen ist. Bürger, Beamte, sogar der Öffentliche Ankläger des örtlichen Revolutionstribunals. Letzterer hält seine schützende Hand über sie, weil sie trotz ihrer 38 Jahre noch immer ein heißer Feger ist und er sich Chancen ausrechnet.
Doch plötzlich, von einem Tag auf den anderen, schließt Madame de Dey ihren Salon. Die Gerüchteküche im Ort brodelt, manche glauben, sie würde Königstreue oder unvereidigte Priester bei sich verstecken. In Wahrheit erwartet sie jedoch ihren einzigen Sohn, der zusammen mit den Bourbonen emigriert ist und nun heimkehren will. Tatsächlich taucht an diesem Abend ein Requisitionär (also ein eingezogener Soldat der Republik) im Rathaus auf fragt nach einer Unterkunft für die Nacht. Überzeugt, den besagten Sohn vor sich zu haben und weil er seiner Freundin einen Gefallen tun will, schickt der Bürgermeister ihn zu Madame de Dey.
Die verspricht derweil notgedrungen dem Öffentlichen Ankläger ihre Hand, wenn sie nur ein paar Stunden in Ruhe mit ihrem Kind verbringen darf. Doch Schreck: Der Requisitionär ist gar nicht ihr Sohn. Die arme Mutter stirbt noch in der gleichen Nacht: „Zu genau derselben Stunde, wo Madame de Dey starb, wurde ihr Sohn in le Morbihan füsiliert. Wir können diesen tragischen Fall unter die Beobachtungen von Seelenverwandtschaft stellen, die den Raumgesetzen nicht untertan ist: Urkunden, die ein paar Eigenbrötler mit weiser Neugier sammeln, um sie eines Tages zur Grundlage einer neuen Wissenschaft zu machen, deren genialer Entdecker bis zur Stunde noch nicht erstanden ist.“ Na, na, lieber Honoré, nicht so bescheiden.
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