Das Chagrinleder, Teil VI

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BAND 71: Das Chagrinleder, S. 284 – 325

Rafael und Pauline treffen sich in seinem alten Dachzimmer und fallen direkt übereinander her. Sie, die früher so arm war, ist inzwischen auch Erbin eines Millionenvermögens. Solche kuriosen Zufälle kommen zwar in etlichen Balzac-Bänden vor, doch diesmal darf man davon ausgehen, dass der Talisman dafür verantwortlich ist. Das Chagrinleder ist inzwischen dermaßen geschrumpft, dass Rafael sich höchstens noch zwei Monate Lebenszeit gibt. Voller Wut wirft er es in einen Brunnen, doch der Gärtner bringt es kurz darauf wieder zu ihm. Den Schock darüber verbirgt Rafael vor Pauline mit einer sehr guten Ausrede, die man praktisch immer verwenden kann: „Sei still, meine Pauline, gehen wir fort. Hier neben mir ist eine Blume, deren Geruch ich nicht vertrage. Vielleicht ist es diese Verbene da?“
Als letzter Ausweg bleibt nur noch die Wissenschaft. Rafael glaubt, dass er den Fluch austricksen kann, indem er das Leder mechanisch wieder ausdehnen lässt. Oder es wenigstens zerstört. Nacheinander sucht er Wissenschaftler der verschiedenen Disziplinen auf, doch alles vergebens. Man fühlt sich an die Versuche erinnert, Tolkiens Einen Ring zu vernichten. Das Leder ist immun gegen Schläge mit dem Schmiedehammer, eine hydraulische Presse explodiert, als sie Druck darauf ausübt, nach zehn Minuten im Feuer ist es immer noch kühl. „Die beiden Gelehrten waren wie die Christen, die aus ihren Gräbern auferstehen und keinen Gott im Himmel finden. Die Wissenschaft? Ohnmächtig! Die Säuren? Wasser! Die glühende Pottasche? Entehrt! Die Voltaische Säule und der elektrische Funke? Kinderspielzeug! ,Eine hydraulische Presse wie eine Brotschnitte gespalten!‘ warf Planchette hin. ,Ich glaube an den Teufel!‘ sagte der Baron Japhet nach einigem Schweigen. ,Und ich an Gott!‘ erwiderte Planchette.“

Beste Stelle:

Die Art, wie die Wissenschaftler sich angesichts ihrer eigenen Machtlosigkeit trösten:
,Wir können freilich die Tatsache nicht leugnen…‘ redete der Chemiker weiter.
,Mein Lieber, zu unserem Trost haben die Herren Philosophen diesen verworrenen Lehrsatz: Dumm wie eine Tatsache! aufgestellt.’“ (…) Sie fingen zu lachen an und aßen zu Abend wie Leute, die in einem Wunder nichts weiter als eben ein Phänomen sehen.“

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2 Gedanken zu “Das Chagrinleder, Teil VI

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