BAND 71: Das Chagrinleder, S. 147 – 221
Die Gräfin Feodora ist eine 22jährige, unermesslich reiche Sirene, die selbst den krassesten Verführern mühelos widersteht. Rafael nähert sich ihr als Gelehrter, denn so einen gibt es in ihrem Harem noch nicht: „Es machte mir Spaß, ihr Augenblicke lang recht zu geben, um ihr zu schmeicheln, und dann ihre Frauenargumente mit einem Worte wieder zunichte zu machen“. Ja, da kriegen die süßen Weibchen nun mal butterweiche Knie, wenn man ihnen so die Welt erklärt. Natürlich ist es dann aber trotzdem Rafael, der ihr in Liebe verfällt. Er, bzw. der Autor offenbaren dabei wieder mal einen Hang zum maskulinen Frauentypus: „Eine Nebenbuhlerin hätte vielleicht ihre dichten zusammengewachsenen Brauen getadelt und den kaum wahrnehmbaren Flaum ihrer Wangen gerügt. Ich aber sah in allem das Zeichen der Leidenschaft. Liebe stand mir auf ihren italienischen Lidern, ihren schönen Venusschultern, ihren Zügen und ihrer zu starken, ein wenig beschatteten Oberlippe geschrieben.“
Für Feodora stürzt der arme Künstler sich hoffnungslos in Unkosten und kann sie doch nicht erreichen. Bei einer Aussprache eröffnet sie ihm, dass sie einfach nicht an Männern interessiert ist. Er kann gern ihr Freund sein, aber soll doch bitte nicht von Liebe reden. Für Rafael ein Affront, der dahinter Frigidität, oder noch schlimmer: Feminismus vermutet. Er vervielfacht seine Bemühungen, versteckt sich sogar eine Nacht lang in ihrem Schlafzimmer und muss doch einsehen: Sie hat einfach keinen Bock auf ihn.
Um Rafael von seinem Kummer abzulenken, führt Rastignac ihn in die Welt des Lasters ein, vermittelt vor allem die Bekanntschaft zum Verleger Finot, für den der Dichter einen fiktiven Memoirenband schreiben darf. Den Vorschuss verpulvert er augenblicklich und kommt dann auf den rettenden Einfall, dass Feodora ihn vielleicht doch noch erhören könnte, wenn er ihr Mitleid erregt. Eine glänzende Idee, die genauso glänzend scheitert. Als letzter Move bleibt Rafael nur, mit seinem Selbstmord zu drohen. Die Gräfin, die man inzwischen ziemlich sympathisch findet, bleibt cool:„,O ich möchte Ihnen mit all meinem Blute meine Liebe beweisen können!‘
Sie sprach lachend weiter: ,Alle Männer sagen mehr oder weniger diese klassischen Phrasen. Aber es scheint mir, daß zu unseren Füßen zu sterben doch ziemlich schwierig ist, denn dieser Art von Toten begegne ich dann überall weiter…“
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