Der Landarzt, Teil VI

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BAND 64: Der Landarzt, S. 245 – 296

Doktor Benassis erzählt seine Lebensgeschichte. Das tut er so ausschweifend, dass man noch einmal kichern muss über seine gerade getroffene Aussage, er rede nicht gern über sich. Als junges Ding kommt er aus der Provinz nach Paris und findet recht schnell ein Mädchen, das alles für ihn stehen und liegen lässt. Das dankt er ihr, indem er sie aus Langeweile verlässt: „gewiß, sie hat mich lieb, aber ich beschäftigte mich schon in Gedanken damit, wie ich mich von ihr freimachen könnte. Dieses Dilemma, diese Gemeinheit führte zur Grausamkeit. So bringt der Mensch sein Opfer, das er anfänglich nur verwundet hat, lieber um, nur um nicht vor ihm erröten zu müssen.“
Die Ärmste stirbt zwei Jahre später auch wirklich am Kummer, unterrichtet Benassis aber noch davon, dass sie ihm einen Sohn geboren hat. In seiner Güte nimmt er ihn zu sich: „der Sarg stand da, mein Kind lächelte mir zu, ohne zu wissen, daß ich der Mörder seiner Mutter war.“

Man nimmt an, dass diese Erfahrung die Wende in seinem Leben herbeigeführt hat. Doch nein, er setzt noch einen drauf, und verliebt sich in die Tochter strenger Christen. Die beiden kommen sich näher, eine Heirat scheint möglich. Allerdings erzählt Benassis mit keiner Silbe, dass er einen Sohn hat. Es ist zudem nicht klar, wo das Kind sich in diesen Tagen überhaupt aufhält. Schließlich fliegt seine Existenz aber doch auf, die Hochzeit fällt ins Wasser.
Die Angebetete geht ins Kloster (klar, was soll sie sonst tun, nachdem ein Mann sie enttäuscht hat), der Sohn folgt seiner Mutter in die ewigen Jagdgründe nach. Benassis versinkt im Selbstmitleid, dafür ist sein Kind wieder dankbares Mittel zum Zweck. Die weinerliche und schwülstige Art, mit der er diese haarsträubende Geschichte erzählt, macht ihn keinen Deut sympathischer. Genestas sieht das anders. Er findet den Doktor klasse.

Beste Stelle:

Die Beschreibung der Erziehungsmethoden, die der Doktor seinem Sohn angedeihen lässt. Also dann, wenn er sich gerade mal für ihn interessiert: „Ich wollte möglichst keinen falschen Gedanken in seinen Geist eindringen lassen, ich versuchte vor allem, es frühzeitig an geistige Arbeit zu gewöhnen, ihm einen sicheren und schnellen Blick zu geben (…) Ich lehrte es schließlich, schweigend Schmerzen zu ertragen.“ Wie er Letzteres wohl angestellt hat? Der Verdacht, der sich seit Beginn des Buches eingeschlichen hat, scheint sich zu bestätigen: Doktor Benassis ist ein gemeingefährlicher Psychopath.

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2 Gedanken zu “Der Landarzt, Teil VI

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