Eine dunkle Geschichte, Teil VI

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Ein neues Zeitalter ist angebrochen. Das Zeitalter, in dem man „Il Trovatore“ von Verdi kennt. Bisher kannte man „Il Trovatore“ nicht. Genau genommen kannte man einige der Arien bereits vom Hören, wusste aber nicht, zu welchem Stück sie gehören. Auch hat einen Puccini vor einigen Wochen weit mehr umgehauen. Trotzdem: Die italienische Oper scheint etwas zu sein, das fortan einen festen Platz im eigenen Leben bekommen wird. Vor allem, wenn sie so reizend inszeniert wird, wie in der Staatsoper Unter den Linden.
Bereits in der ersten Szene sieht man am Zusammenspiel des schlichten Bühnenbilds mit der ausgeklügelten Beleuchtung, dass der Abend erfreulich werden wird. Als man in der Pause im Programmheft nachsieht, weiß man warum. Philipp Stölzl hat inszeniert, der famose Regisseur des gerade erst gesehenen „Turandot“. Verdi insgesamt wesentlich weniger düster, selbst die Folterszene im 3. Akt kommt fröhlich-beschwingt daher.
Einziges Manko an diesem Abend: das Publikum. Die große Begeisterung in allen Ehren, aber man muss nicht alle fünf Minuten Szenenapplaus spenden. Das tun nur Amerikaner, weil sie glauben, in Europa macht man das so. Man hat euch zwar trotzdem lieb, ihr drolligen Kultur-Parvenüs, aber hier vorsichtshalber die Info: Szenenapplaus spendet man nur bei Ausnahme-Darbietungen. Die man wiederum nur als Kenner von gewöhnlichen Darbietungen unterscheiden kann. In der Oper laut „Bravo“ zu rufen, mag in amerikanischen Ohren mondän klingen. Für alle anderen klingt es einfach nur amerikanisch.

BAND 60: Eine dunkle Geschichte, S. 250 – 295

Trotz aller Bemühungen werden die Helden schuldig gesprochen. Michu soll hingerichtet, die adligen Jungs für Jahrzehnte ins Kitchen gesteckt werden. Ausschlaggebend ist dabei ihre elitäre, volksfremde Haltung, was sie umso sympathischer macht. Laurence bleibt nichts anderes übrig, als über ihren Schatten zu springen und beim Soldatenkaiser Napoleon um Gnade zu betteln. Der ist natürlich gerade im Feld, genauer gesagt, in Preußen. Ausgerechnet am Vorabend der Schlacht von Jena sucht sie ihn auf. Man ist ohnehin begeistert vom dramatischen Rahmen, in den Balzac dieses Kammerspiel setzt, doch Napoleons Antwort auf Laurences Unschuldsbeteuerungen schlägt dem Fass den Boden aus: „da sind dreihunderttausend Menschen; sie sind auch unschuldig! Wohlan, morgen werden dreißigtausend Menschen tot sein, gestorben für ihr Land! Bei den Preußen wird vielleicht ein großer Mechaniker, ein Ideologe, ein Genie hingemäht. Auf unserer Seite werden wir sicherlich große, unbekannte Männer verlieren. Kurz, vielleicht sehe ich meinen besten Freund sterben! Werde ich Gott anklagen? Nein, ich werde schweigen. Lassen Sie sich sagen, Fräulein, man muß für die Gesetze seines Landes sterben, wie man für seinen Ruhm stirbt“.

Die Handlung wird daraufhin kurz und bündig abgeschlossen. Die Aristos werden begnadigt, fallen aber alle im Krieg unter Napoleons Augen. Nur Adrien de Hautessere überlebt und heiratet Laurence. Der brave Michu wird hingerichtet, geht aber tapfer und in der Gewissheit in den Tod, seinen Herren treu gedient zu haben. Selbst für den Henker hat er noch ein nettes Wort übrig:
In dem Augenblick, da er sich auf das Brett legte, bat er den Scharfrichter, ihm den Rock zurückzuschlagen, der ihm den Hals verdeckte, und sagte: ,Mein Anzug gehört Ihnen; zerschneiden Sie ihn nicht.’“
Laurence wird sein Andenken in Ehren halten und Michus Sohn wie ihren eigenen großziehen. Der böse Corentin, natürlich Urheber des Komplotts, kommt zwar straffrei aus diesem Buch heraus. Aber man weiß ja zum Glück, dass er später vom Todtäuscher in Glanz und Elend der Kurtisanen sein Fett kriegen wird. Im Grunde ist das schönste Happy End, wie sich die adelsstolze Laurence mit dem ebenso stolzen Parvenü Napoleon aussöhnt. 10 von 10 Punkte.

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2 Gedanken zu “Eine dunkle Geschichte, Teil VI

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