Am vergangenen Abend hat man mit Freund Stefan aus Wien telefoniert. Das tut man alle paar Wochen, um den eigenen kulturellen Input mit dieser unbestechlichen und allwissenden Instanz abzugleichen. Zum aktuellen Balzac-Band sagt er: „Warum hat Laurence denn nicht einfach beide Simeuse-Brüder geheiratet, die sind doch Zwillinge! Die beiden hätten sich immer abwechseln können, dann wäre es auch nicht so schnell langweilig geworden.“ Man ist beeindruckt von soviel Scharfsinn. Man selbst ist auf diese Lösung gar nicht gekommen, dabei wird auffallend oft erwähnt, dass die Simeuse-Brüder optisch nicht zu unterscheiden sind. Auf jeden Fall herrscht Einigkeit darüber, dass Eine dunkle Geschichte ein echter Heuler ist.
Im Anschluss erzählt man vom bevorstehenden Staatsoper-Besuch mit Judith an diesem Abend. Il Trovatore. Ein Stück, das früher den Untertitel „Die Rache der Zigeunerin“ trug. Heute trägt es keinen Untertitel mehr. Stefan dazu: „Oooh, ein berückendes Stück. Jeder Akt spielt zur Mitternacht bei Vollmond, im Hintergrund sieht man immer Bergspitzen mit hübschen Schlössern drauf. Und wenn am Schluss der Kopf rollt, ruft die Zigeunerin: „Haha! Er war dein Bruuuder!“ Und dem Grafen von Luna verflüssigt sich das Gehirn und läuft aus den Ohren heraus. So schön.“
BAND 60: Eine dunkle Geschichte, S. 201 – 249
Noch während Laurence und die Zwillinge über eine Lösung ihrer Romantik-Probleme grübeln, schlägt das Komplott gegen sie voll ein. Michu, sein Gehilfe Gotthard und die vier ehemaligen Emigranten werden eingebuchtet und vor Gericht gestellt. Zwar scheinen die Vorwürfe an den Haaren herbeigezogen zu sein, Napoleon könnte die jungen Aristos begnadigen, aber er muss leider gerade Weltgeschichte schreiben: „Nachdem der Kaiser sein Wort gesprochen, vergaß er die Sache, da ihn die Koalition von 1806 überraschte. Er dachte an neue Schlachten, die er liefern wollte, und beschäftigte sich mit der Zusammenziehung seiner Regimenter, um einen großen Schlag ins Herz der preußischen Monarchie zu führen;“ Da kann man natürlich schon mal zerstreut sein.
Es folgt eine Art Justiz-Thriller. Die Simeuses und Hauteserres werden von einem alten Staranwalt verteidigt, Michu (als Schlüsselfigur des Prozesses) sogar vom Grafen von Granville. Die Stimmung bei den Geschworenen wogt hin und her, es ist spannend, immerhin sollen die Angeklagten bei einem Schuldspruch hingerichtet werden. Das Volk unterhält sich köstlich: „In Frankreich gehört alles ins Bereich des Scherzes: er ist der König. Man scherzt auf dem Schafott, an der Beresina, auf den Barrikaden, und irgendein Franzose wird gewiß vor dem großen Gerichtshof des Jüngsten Gerichts noch Witze machen.“
Beste Stelle:
Laurences Empfindungen angesichts der Mühlen der Justiz. Man kann sie sehr gut verstehen: „Laurence verfiel in die innere Niedergeschlagenheit, die die Seele aller Tatmenschen und Denker quälen muß, wenn die Vergeblichkeit alles Tuns und Denkens ihnen bewiesen wird.“
Pingback: Eine dunkle Geschichte, Teil IV | CLINT LUKAS
Pingback: Eine dunkle Geschichte, Teil VI | CLINT LUKAS