Tante Lisbeth, Teil VII

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Der Freitag war ein aufregender Tag. Bei einem Telefonat sollte sich entscheiden, ob man bei einer Literaturagentur unter Vertrag genommen wird. Man bemüht sich seit knapp sechs Jahren darum, hat während dieses Zeitraums alle Formen der Ablehnung erfahren. Von der kollegialen Arbeit an einem Romanprojekt, für das dann letztendlich doch keine Vertretung angeboten werden konnte, bis zum völligen Ignoriertwerden. Gerade letzteres war demütigend, man fühlte sich wie ein Bittsteller, ein lachhafter Clown. Einmal verlor man die Beherrschung und reagierte auf das lange Schweigen eines Lektors mit folgender e-mail:

Sehr geehrter Herr …
vielen Dank für Ihr ausführliches Feedback, dem man anmerkt, wie engagiert Sie sich mit meinem Text auseinander gesetzt haben, und mit welcher Leidenschaft Sie Ihren Beruf ausüben.
Leider habe ich mich aber letztlich doch gegen Ihren Verlag entschieden. Damit ist keine sonst wie geartete Wertung verbunden, ich bin mir sicher, dass Sie einen anderen Autor für Ihre spezielle Art der Zusammenarbeit finden werden.
Herzliche Grüße aus dem 5. Kreis der Hölle

So etwas darf man natürlich nicht tun. Diese Brücke ist für immer abgebrannt. Doch manchmal überwältigt einen der Frust und das Scheitern.
Umso größer die Hoffnung auf das Telefonat. Man steht besser da, als jemals zuvor, hat mit dem COOL TROTZ KIND – Ratgeber einen Buchvertrag, der eine gewisse Hausnummer darstellt. Zumal das Buch als einer der Spitzentitel im Frühlingsprogramm erscheinen wird. Die beste Zeit also, um das aktuelle Romanprojekt auf den Markt zu werfen, einen Vaterroman.
Das Telefonat mit der Agentin dauert dreißig Minuten, man bewegt sich auf Augenhöhe. Über die positive Entwicklung der eigenen Karriere besteht Konsens. Auch was die Arbeit am Vaterroman betrifft, ist man sich einig. Daran kann durchaus noch geschraubt werden, vor allem braucht es ein prägnantes Exposé, ein Kracher-Exposé.

Bisher lief es in vergleichbaren Situation so, dass man ohne Gewähr am Manuskript feilen sollte. Der Agenturvertrag wurde einem als zukünftige Möglichkeit, als Belohnung, als Ziel in Aussicht gestellt. Man hat dieses Ziel nie erreicht. Es könnte aber auch anders laufen. Die Agentur könnte sich aufgrund des Potentials, das sie im Autor sieht, entscheiden, ihn sofort unter Vertrag zu nehmen. Um dann gemeinsam am Projekt zu arbeiten.
Aus irgendeinem Grund hatte man das Gefühl, diesen Punkt erreicht zu haben. Ein Spitzentitel im größten Sachbuchverlag des Landes, eine Kolumne bei Mit Vergnügen, die durch die Decke geht, ein thematisch damit zusammenhängendes Romanprojekt – in den eigenen Augen erschien dieses Paket vielversprechend, prägnant, gut verkäuflich.
Am Ende der dreißig Minuten wurde jedoch noch nichts von einem Vertrag erwähnt. Man ahnt, was das bedeutet: Erstmal wieder vorschießen, ins Blaue hinein am Vaterroman basteln, ohne Garantie auf Erfolg. Wie zuvor sind alle Schranken geschlossen, die Agenturschranke, die Verlagsschranke, die Schranke der Veröffentlichung. Nichts hat sich verändert.

Seltsamerweise ist man jedoch nicht frustriert. Denn man steckt Hals über Kopf in der Arbeit am COOL TROTZ KIND – Buch. Anfang November wird es vollendet sein. Danach wollte man sich sowieso an den Vaterroman machen, ihn aufmöbeln, dem eigenen, weiterentwickelten Stil anpassen. Ob man dies unter dem Schirm einer Agentur tut oder in der kalten, einsamen Dunkelheit, ist im Grunde vollkommen gleichgültig. Es kommt nur auf das Ergebnis an. Das dann im besten Fall von besagter Agentur vertreten wird.
Arbeit ist der beste Schutz, den es gibt. Der Ratgeber, und noch viel mehr dieser Blog, bilden die Firewall, die einen davor bewahrt, aufzugeben, alles hinzuschmeißen. Erfolg bedeutet nichts, Erfolg ist nicht real. Letzten Endes ist man immer allein mit der leeren Seite, jeden Tag aufs Neue. Balzac hat einem das klar gemacht. Über die tägliche Schreibarbeit sagte er: „Ich gebe mich ihr mit Verzweiflung hin und ich scheide von ihr mit Trauer.“ Man fühlt sich verbunden.

BAND 55: Tante Lisbeth, S. 285 – 335

Als würde die abgebrühte Valerie nicht schon genug Deppen an der Nase herumführen, taucht nun auch noch ihr ehemaliger Latin Lover aus Brasilien auf: „Seine klaren Augen funkelten so wild, daß man glauben konnte, die Mutter des Barons sei in der Zeit ihrer Schwangerschaft von einem Jaguar erschreckt worden.“ Große Eifersucht beim Baron und bei Crevel, doch letzten Endes schlucken sie auch diese Demütigung. Derart auf dem Gipfel ihrer weiblichen Macht angelangt, will Valerie nun endlich den Künstler Wenzeslaus verräumen. Sie schickt Lisbeth, um das zu arrangieren.
Man erfährt bei dieser Gelegenheit, dass es mit der Karriere des Bildhauers längst nicht mehr rund läuft. Die Statue, die er fürs Kriegsministerium machen sollte, taugt nichts. Dazu kommt, dass Hortense ihn in seiner slawischen Faulheit bestärkt: „Hortense war die erste, die Wenzeslaus von seiner Arbeit zurückhielt, stolz, so über ihre Rivalin, die Skulptur, zu triumphieren. Die Zärtlichkeiten des Weibes verjagen die Muse, sie beugen die Kraft und die Standhaftigkeit des Arbeitenden.“ Vielleicht sollte man sich als Künstler also besser eine Künstlerin suchen, die aus dem gleichen Holz geschnitzt ist, wie man selbst.

Beste Stellen:

Die Beschreibung von Valeries Ehrlichkeit: „denn sieh`, wenn man der die Hände festhielte, sie fände Mittel und Wege, dich mit den Füßen zu betrügen.“

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2 Gedanken zu “Tante Lisbeth, Teil VII

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