BAND 55: Tante Lisbeth, S. 41 – 90
Baronin Adeline von Hulot, geborene Fischer, war schon immer der ganze Stolz ihrer Eltern, weshalb sie damals auch von dem schönen Gardeoffizier Hulot geheiratet wurde. Zwölf Jahre lang war er ihr treu, doch dann gingen die Seitensprünge los. Sie wusste davon, und schluckte ihren Kummer hinunter. Inzwischen wird das allerdings immer schwieriger. Erstens, weil er für seine Mätressen das ganze Familienvermögen durchgebracht hat, und zweitens, weil er mit fünfzig langsam zu alt wird, um den Lover zu spielen: „Er zwängte sich in Gürtel und Korsetts, färbte sich die Haare und Augenbrauen, salbte und puderte die Haut – mit einem Wort – er wollte um jeden Preis der schöne, verführerische Mann bleiben. Hatte er ehemals diesen Kultus bei den Männern mit ätzendem Spott begossen, war er jetzt sein willenloser Sklave.“
Als er nach Crevels Besuch nach Hause kommt, stellt Adeline ihn zum ersten Mal wegen seiner Hurerei zur Rede. Zwar nicht ganz ehrlich, sie behauptet, einen anonymen Brief gekriegt zu haben, aber immerhin. Die Reaktion des Barons: Er bedankt sich, dass sie derart ihr Herz geöffnet hat und beichtet ihr dann ohne schlechtes Gewissen noch weitere Fehltritte.
Höchste Zeit, die titelgebende Figur Lisbeth Fischer einzuführen, die Cousine Adelines. Schon als Kind war sie neidisch auf deren Schönheit: „Daher passierte auch eines Abends diese unglaubliche Geschichte, daß Lisbeth, als sie Adeline allein in der Stube traf, ihr die schöne griechische Nase, die von allen Frauen so bewundert wurde, abbeißen wollte.“ Trotzdem nimmt Adeline sie mit in ihren Haushalt nach Paris, wo die Hexe nun als eine Art Faktotum lebt. Fünfmal hat der Baron bereits versucht sie zu verheiraten, doch sie ist trotz ihres schockierenden Äußeren wählerisch.
Angeblich hat sie einen Freund, das erzählt sie zumindest ihrer Nichte Hortense. Einen Goldschmied namens Wenzeslaus Steinbock, den aber noch kein Mensch je zu Gesicht bekommen hat. Hortense bohrt hartnäckig und kriegt schließlich einen Siegelstempel gezeigt, den Steinbock angeblich gefertigt hat. Beim Anblick dieses Kleinods gibt es bei der 22jährigen eine Art Frühlingserwachen. Sie wird doch der scheußlichen Tante nicht den Mann ausspannen wollen?
„Keinem Menschen, der dieses Familienbild sah, wäre der Gedanke gekommen, daß der Baron dicht vor dem Ruin stand, daß die Mutter sich in Verzweiflung krümmte, daß der Sohn in steter Angst um seines Vaters Zukunft lebte, und daß die Tochter mit dem Gedanken spielte, der Tante Lisbeth den Geliebten abspenstig zu machen.“ Oha, oha…
Beste Figur:
Die böse Tante Lisbeth, insbesondere ihre Art sich zu kleiden: „Sie begann einen Kampf mit der herrschenden Mode zu führen, da sie sich einbildete, die Mode müsse sich nach ihren persönlichen Eigenarten und ihrer altbackenen Phantasie richten. (…) Ein Hut für dreißig Franken wurde unter ihren Händen zu einem abscheulichen Deckel, und ein anständiges Kleid zu einem greulichen Fähnchen. Gerade in dem, was Kleidung betraf, war Lisbeth von einer boshaften Starrköpfigkeit;“
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