Und wieder hat man etwas gelernt: Wuppertal gehört nicht zum Ruhrpott, wie man dachte, sondern zum Bergischen Land. Lesung im Freizeitpark Fischertal vor einem Bungalow des örtlichen Tennisvereins. Bei Ankunft drappiert die Veranstalterin ein pinkfarbenes Seidentuch um den Tisch, an dem man sitzen und lesen wird. Auch an Kerzen und Flamingofiguren fehlt es nicht, offenbar wurde sich mit dem Werk des Autors beschäftigt. Der Eintritt beträgt 25 Euro, man ist also endlich so begehrt wie Atze Schröder oder die Black Eyed Peas. Life-Goal erreicht.
Nachdem man zu Ende gelesen hat, wird man von Kollege und Gastgeber Hank Zerbolesch zurück in die Innenstadt gefahren. Jede einzelne Straße steigt oder fällt extrem, ein ständiges Auf und Ab, weshalb Wuppertal auch das San Francisco Deutschlands genannt wird. Zu Fuß durch ein beeindruckend großes erhaltenes Altbauviertel, im Krieg „Ölberg“ genannt, weil keine Gasheizung und dadurch auch kein verräterisches Licht, als die Bomben fielen.
Feierabend im wundervollen „Wiesenstübchen“, dem bergischen Pendant zum Berliner Bierbrunnen. Goodbye Wuppertal! It was good.
BAND 51: Kehrseite der Geschichte unserer Zeit, S. 251 – 298
Man hat einen beschleunigten Puls, so unerwartet kommt der Plot-Twist am Ende dieses an sich schon tollen Romans. Doktor Halpersohn diagnostiziert bei Wanda einen Weichselzopf, so eine Art Dreadlock, die irgendein Gift absondert. Er verspricht vollständige Heilung, muss die Kranke aber zu sich ins Krankenhaus holen. Eigentlich müssten alle Beteiligten nur noch die Hände in den Schoß legen und abwarten, Frau de la Chanterie zahlt ja sämtliche Rechnungen.
Stattdessen drehen aber plötzlich alle durch. Der alte Herr Bernard, Wandas Vater, erträgt es nicht, von seiner Tochter getrennt zu sein (die für die Behandlung acht Tage Ruhe braucht). Deshalb rennt er hysterisch um den Block. Durch die Intrige seines Vermieters soll er in Schuldhaft, was wiederum den Enkel August dazu bringt, bei Halpersohn 4.000 Franken zu klauen. Zwar kann er seinen Opa auslösen, wird aber selbst verhaftet.
Die ganze Zeit hofft man, dass Gottfried erscheint und die Probleme löst. Es könnte ein Happy End geben, nach dem der Geläuterte sich den nächsten Bedürftigen zuwendet. Stattdessen kommt alles anders. Als er nämlich wieder auftaucht, wirkt er mehr als bedrückt. Denn in der Zwischenzeit hat er erfahren, dass Herr Bernard der Richter ist, der seinerzeit für die Hinrichtung der Tochter von Frau de la Chanterie verantwortlich war. Entsetztes Raunen im Parkett!
Gottfried wird wegen Befangenheit von dem Fall abgezogen und zur Buchhaltung verdonnert. Erst Monate später erfährt er, dass Wanda vollständig geheilt wurde, sogar wieder gehen kann. Ihr Vater ist inzwischen Professor an der Sorbonne und voller Dank für seine Wohltäter. Verzweifelt versucht er herauszufinden, wer sie sind, löchert auch Gottfried mit Fragen. Dem platzt schließlich der Kragen: „Nun, die, die Ihre Tochter gerettet, (…) die Ihnen ein glückliches, ehrenvolles Alter geschenkt hat und die Retterin von Ihnen dreien geworden ist (…) Das ist eine Frau, die Sie unschuldig auf zwanzig Jahre ins Zuchthaus geschickt haben! (…) die Sie in Ihrem Amt mit den grausamsten Beschimpfungen überhäuft, deren heiliges Wesen Sie schimpflich verdächtigt und der Sie eine reizende Tochter entrissen haben, um sie dem schrecklichsten Tode zu überantworten, denn sie starb auf dem Schafott!…“
Ohnmachtsanfälle beim alten Richter und vielen anderen Beteiligten. Frau de la Chanterie ist aber so nah an der Göttlichkeit, dass sie dem Mörder ihres Kindes schließlich verzeihen kann. Und wie sie ihm verzeiht: „Im Namen Ludwigs XVI. und Marie Antoinettes, die ich auf dem Schafott erblicke, im Namen der Prinzessin Elisabeth, im Namen meiner Tochter, in Ihrem Namen und im Namen Jesu Christi verzeihe ich Ihnen…“
Auf jeden Fall pole position in der Top 5 der Szenen aus dem Pariser Leben.
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