Die ganze Nacht über Fieberträume. Zuerst war man damit beschäftigt, griechische Tempel zu bauen, danach ging es darum, Verdachtsmomente an einer ukrainischen Beteiligung am Mord von Darja Dugina zu zerstreuen. Bester Beweis, dass man vor dem Einschlafen keine Nachrichten lesen sollte. Wie man das alles bewerkstelligt hat, bleibt rätselhaft. Doch sobald eine Aufgabe erledigt war, musste man ohnehin direkt wieder von vorn anfangen. Das Fieber ließ einem gerade genug Gedankenspielraum, sich über diese ständige Wiederholung zu wundern, nicht jedoch, den Kreis in Richtung eines ruhigen Schlafes zu durchbrechen.
Dass es dann bei Balzac um BDSM geht, hält man zunächst auch für einen Fiebertraum, doch nein, er bewahrheitet sich.
Bilanz durchschwitzter Textilien:
1 Bettbezug (Baumwolle)
1 Wolldecke (Wolle)
2 Kissenbezüge (Baumwolle)
1 Bettlaken (ebenso)
4 T-Shirts (Reine Baumwolle, mit einer 70-prozentigen Polyester-Beigabe)
BAND 50: Ein Prinz der Boheme, S. 16 – 52
La Palférine lernt die verheiratete Bürgerin Claudine kennen, indem er sich auf der Straße einfach an sie heftet und nicht mehr von ihrer Seite weicht. Sie verliebt sich unsterblich in ihn, was ihm ziemlich schnell auf den Keks geht: „Nach drei Tagen sollte man die Frau, die man nicht liebt, und den aufbewahrten Fisch zum Fenster hinauswerfen“.
Je gemeiner er sie behandelt, desto mehr verfällt sie ihm, das alte Spiel. Täglich schreibt sie glühende Briefe, die er nicht liest. Als sie Wind davon kriegt, fleht sie ihn an, dass er die Briefe wenigstens benutzen soll, um sein Rasiermesser zu reinigen. Zuerst hält man diese Konstellation noch für die typische Ungleichheit in einer Liebesbeziehung. Dann dieser Brief Claudines, nachdem sie bei einem Date versetzt wurde: „Ach, welche finstere Trauer ist in meinem Herzen eingezogen, als ich erfuhr, daß ich auf das Glück verzichten müsse, dich gestern zu sehn. Nur ein Gedanke hat mich daran gehindert, mich in die Arme des Todes zu stürzen: daß Du es gewollt hast! Nicht kommen hieß, Deinen Willen aufführen, einem Deiner Befehle gehorchen.“
Es fällt einem wie Schuppen von den Augen: La Palférine ist ihr dom! Freilich gegen seinen Willen. Einmal kommt es zu einem Handgemenge, bei dem sie sich eine Verletzung am Kopf zuzieht. Ein lebensbedrohliches Geschwür bildet sich und muss operiert werden. Allerdings müssten dafür auch ihre Haare abgeschnitten werden, was sie verweigert. Ohne die Erlaubnis ihres dom will sie nicht zustimmen. Der Doktor geht also zu La Palférine und erhält die Antwort: „Claudine das Haar abschneiden! Nein, lieber will ich sie verlieren!“ Für sie der Beweis, dass er sie doch liebt, weshalb sie die OP überlebt.
Man fragt sich die ganze Zeit, wie es dem Ehemann damit geht und erfährt, dass es sich bei ihm um du Bruel handelt, den Theaterdichter, der einem gerade erst bei Die Beamten begegnet ist. Claudine ist Tullia, die große Theaterdiva, die jedoch ihre besten Jahre bereits hinter sich hat (mit 37 steht sie im Balzac-Kosmos praktisch schon mit einem Bein im Grab).
Bei La Palférine eine glückliche sub, behandelt Claudine ihren Mann wie einen Sklaven. Der lässt es meistens über sich ergehen, nur manchmal platzt ihm der Kragen: „ich verlasse diese abscheuliche, schamlose Tänzerin, diesen alten Kreisel, der sich in allen Opernmelodien gedreht hat, diese Vettel, diese eines Leierkastenmannes würdige Äffin. (…) Ich trete ihr mit den Absätzen in den Bauch hinein!“
Freilich braucht es im Anschluss nur ein Wort von ihr, um ihn augenblicklich zu zähmen. Letzten Endes profitiert er sogar von ihrer Affäre. Da La Palférine von ihr verlangt, dass sie eine große Dame werden soll, stachelt sie du Bruel zu Höchstleistungen auf. Er wird Pair von Frankreich und zum Grafen ernannt. Claudine, glücklich darüber, die Forderungen ihres dom erfüllt zu haben, rennt sofort zu ihm. Doch der bleibt gnadenlos: „ich will zur Geliebten keine Frau, die so dumm wie ein Hecht ist und solche Karpfensprünge macht, daß sie von den Kulissen der Oper zu Hof geht“.
Pingback: Ein Prinz der Boheme, Teil I | CLINT LUKAS
Pingback: Kehrseite der Geschichte unserer Zeit, Teil I | CLINT LUKAS