Zurück in der Heimat, im wundervoll trüben und kalten Berlin. Schon auf der Rückreise kam einem zu Bewusstsein, dass man Neapel Unrecht getan hat. Es ist mit Sicherheit ein famoser Ort, man sollte vielleicht nur nicht im Hochsommer hinfahren. Und falls doch, nicht mit einem erlebnis- und badefreudigen Kind. Sondern bevorzugt mit faulen Alkoholikerfreunden (von denen man zum Glück noch den ein oder anderen hat), die save damit sind, an kühlen Bars rumzuhängen und sich höchstens mal kurz in den Dschungel stürzen, um in der fabelhaften Pescheria Azzurra zu Abend zu essen. So geht das ja schließlich auch mit dem Urlaub.
BAND 43: Das Mädchen mit den Goldaugen, S. 46 – 76
Besagtes Mädchen heißt Paquita und wird strenger bewacht als die Mona Lisa. Für Henri de Marsay ein Glücksfall, denn er ist längst gelangweilt von seinen zahllosen Liebschaften. Dass es nun etwas schwieriger scheint, ins Boudoir der Angebeteten vorzudringen, bringt ihm endlich mal wieder Tinte auf den Füller. Er lauert ihr im Park auf, zusammen mit all den anderen fuckboys, die Paris von der Kette lässt: „Ihr zuliebe hatten sich an die fünfzig Vertreter der eleganten Pariser Jugend gestiefelt und gespornt, parfümiert, mit Reitpeitsche und hoher Halsbinde dort eingefunden, die plaudernd und lachend auf und ab gingen und einander zu allen Teufeln wünschten.“
Denkt man sich die Halsbinden weg, könnte diese Szene auch in jedem Berliner Club spielen, kurz bevor das Putzlicht angeht.
Es gelingt Henri, der Geliebten einen Brief zukommen zu lassen, woraufhin sie ihm komplizierte Anweisungen schickt, wie es zu einem Date kommen kann. Offenbar gehört sie einer sehr eifersüchtigen Person an und riskiert mit einem Treffen ihr Leben. Henri kann es kaum erwarten: „Um schmerzlos auf den nächsten Tag zu warten, nahm Henri zu ausschweifenden Genüssen Zuflucht: Er spielte mit seinen Freunden und gewann ihnen zehn- bis zwölftausend Franken ab, er trank wie ein Droschkenkutscher und fraß wie ein Deutscher.“
Schließlich wird er mit verbundenen Augen in ein heruntergekommenes Palais geführt, wo er zwar Paquita, aber auch deren verwahrloste Mutter trifft. Die Alte hockt wie ein Lumpenberg auf dem Sofa und glotzt die beiden pausenlos an, was die Annäherung etwas tricky gestaltet. Balzac dazu: erste Dates sind immer tricky. „Niemals war ein Stelldichein in einer züchtigeren, keuscheren, vielleicht kälteren Weise, an einem abstoßenderen Orte, in Gegenwart einer scheußlicheren Gottheit vor sich gegangen. Denn diese Mutter war in Henris Vorstellungskraft etwas Teuflisches, Lauerndes, Lasterhaftes, Grausamwildes, Verwestes, wie es noch keines Dichters und Malers Phantasie geschaut hatte.“
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