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Man hat nicht viele Freunde. Es sind genau sechs.
Einer aus München.
Einer aus Wien.
Einer aus Siebenbürgen.
Zwei aus der Heimat.
Einer von hier.
Sie sind die Familie, die man sich über die Jahre gewählt hat, und sie sind noch weit mehr als das. Jeder von ihnen entspricht einem Teil des eigenen Ichs, einer Stimme, einer Farbe im Spektrum der seelischen Sehkraft.
Eine dieser Farben ist am 28. Juni 2022 erloschen. Man wird sie nie wieder sehen. Man wird weiterleben, mit den besten Erinnerungen. Doch man wird auch blind sein. Als wären sämtliche Bäume aus der Welt entfernt worden. Sämtliche Vögel. Das Feuer. Das Meer.
Man ist beraubt worden. Durch den Zufall, durch schnöde Statistik. Man ist dankbar für seine Familie, sein Kind, seine verbleibenden Freunde.
Man sitzt da und liest Balzac.
Es gibt nichts weiter zu tun.
BAND 41: Ferragus – Das Haupt der Zerstörer, S. 51 – 100
Es wird eng für August de Maulincour. Zuerst fällt ein Quaderstein von einem Baugerüst, der ihn verletzt und seinen Diener erschlägt. Dann bricht die Achse seiner Kutsche, wobei er nochmal schwer verwundet wird. Zwar bleibt er erstmal voller Paranoia zuhause, lässt jedoch immer noch nicht locker, das Geheimnis von Clémence ergründen zu wollen. Durch einen Spion erfährt er, dass es sich bei ihrem bedrohlichen Freund um den ehemaligen Bauunternehmer und Mafiaboss Gratien Bourignard, alias Ferragus den Dreiundzwanzigsten handelt.
Nach weiteren Anschlägen, die August nicht zur Vernunft bringen können, tritt Ferragus ihm offen auf einem Ball gegenüber: „,Braucht man denn unbedingt Blei, um diesen Schädel zur Vernunft zu bringen?‘ sagte er halb im Scherz, während er den Überraschten ein paar Mal kräftig hin und her zerrte. Dann ließ er von seinem Opfer ab und eilte mit höhnischem Lachen hinweg.“
Ein wahrer Teufelskerl, man fragt sich, wer gewinnen würde, wenn dieses Haupt der Zerstörer auf den Todtäuscher alias Jacques Collin träfe. Das wäre ein Duell der Giganten.
Derweil stören Augusts Nachforschungen auch den Frieden bei Clémence zuhause, deren Ehemann Jules Desmaret offenbar nichts von ihrem Beschützer weiß. Aus irgendeinem Grund erzählt sie ihm auch nichts, sondern verstrickt sich in eine Lüge nach der nächsten. Laut Balzac sind sie eben so, die Weiber: „Die Lüge wird zur Grundlage, zur Hauptregel ihrer Sprache, und die Wahrheit deren Ausnahme. Sie sind verlogen, wie sie tugendhaft sind: aus Laune oder aus Berechnung.“
Schließlich platzt eine Grisette namens Ida in den Salon der Demarets und behauptet, Ferragus‘ Geliebte zu sein. Sie fühlt sich von Clémence als Nebenbuhlerin bedroht. Zur Rede gestellt rettet diese sich wieder in Ausflüchte. Es kann wohl noch eine Weile dauern bis Klarheit herrscht.
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