Man sitzt vorfreudig im Zug nach Bamberg, wo man am Abend nach sechs Jahren Marina wiedersehen wird, die äußerst liebenswerte Tochter von Charles Bukowski. Zuletzt traf man sie 2016 in Berlin, anlässlich einer Lesung, bei der man seine liebsten Bukowski-Stories vortrug. Marina kam danach zu einem und sagte, sie hätte jedes Wort verstanden, obwohl sie kein Deutsch spricht. Man war der Ansicht, dass es vor allem die Qualität des Textes beweist, wenn er unabhängig von Sprache verständlich ist. Gleichzeitig gönnte man sich den Luxus geschmeichelt zu sein. Später am Abend dann der ultimative Heartbreak.
„Für mich ist Bukowski wie ein Freund“, sagt man und äußert gleichzeitig den Gedanken, dass diese Empfindung anmaßend ist.
„Warum das?“, fragt Marina empört. „Das ist überhaupt nicht anmaßend. Ich bin mir sicher, er hätte dich gemocht. Wenn ihr euch getroffen hättet, wärt ihr Freunde geworden.“
Es ist einer der schönsten und schrecklichsten Momente des bisherigen Lebens. Dieser Tunnel, der sich durch die Zeit öffnet. Das Gefühl, den Augenblick festhalten zu wollen und doch zu wissen, dass er wie alle anderen verstreichen wird, schon verstrichen ist. Man hat zwei Jahre lang in einem Hospiz gearbeitet und etwa achtzig Menschen beim Sterben begleitet. Doch zum ersten Mal begreift man wirklich, dass der Tod auch auf einen selbst wartet.
Glücklich und überwältigt starrt man in die Finsternis.
BAND 38: Ursula Mirouet, S. 151 – 200
Der Doktor und Ursula fahren nach Paris, um Savinien aus dem Knast freizukaufen. Nachdem er 100.000 Francs für Koks und Nutten verpulvert hat, macht er nun einen auf reumütig: „Ich muß mich (…) drei oder vier Jahre lang in Vergessenheit geraten lassen und eine Laufbahn antreten. Vielleicht werde ich mir einen Namen durch ein staatswissenschaftliches Buch machen, oder durch eines über Moralstatistik, oder durch eine Abhandlung über eines der großen aktuellen Probleme.“
Ja, das klingt gut. Seit jeher ist der Pfad zur Tugend gepflastert mit staatswissenschaftlichen Abhandlungen über Moralstatistik.
Statt sich auf diesen famosen Plan zu konzentrieren, verliebt Savinien sich auf dem Rückweg in die schlafende Ursula. Er denkt nur ein bisschen an ihr zu erwartendes Erbe, wenn er ihre Schönheit wie ein Gemälde betrachtet, „das er in den goldenen Rahmen jener magischen Worte: ,sieben- bis achthunderttausend Franken‘ gestellt hatte.“
Zurück in Nemours unterrichtet er prompt seine Mutter davon, dass er Ursula heiraten möchte. Die will in ihrem Standesbewusstsein natürlich nichts davon wissen. Immerhin ist er ein Vicomte de Portenduère und sie nur ein Bürgermädchen. Er echauffiert sich ein bisschen und vergisst dabei, dass er noch immer im Knast sitzen würde, wenn er kein Aristo wäre. Kabale und Liebe, ick hör dir trappsen.
Schließlich schifft er sich gegen den Willen seiner Mutter bei der Marine ein, um sich Ursulas Liebe würdig zu erweisen. Die ist besorgt, dabei darf er auf dem Schiff des Admirals dienen (man muss ja keine unnötigen Risiken eingehen). „Liebenden und Betrunkenen hilft der liebe Gott“, sagt der Doktor lakonisch und nimmt sein Mündel erstmal mit auf einen Trip nach Italien.
Beste Figur:
Die liebe Madame de Portenduère, die sich in ihrem Adelstolz berechtigterweise kein bisschen den Zeichen der Zeit beugen will: „Eine Herabsetzung des Reichtums war für Frau von Portenduère gleichbedeutend mit einer Erhöhung des Adels und einer Herabsetzung des Bürgertums.“
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