BAND 38: Ursula Mirouet, S. 50 – 99
Der Doktor Minoret ist mit allen Wassern gewaschen. Immerhin war er während der Revolution ein persönlicher Kumpel Robespierres, später der Leibarzt Napoleons. Auf die zickigen Spielchen seiner Dorftrampel-Verwandten geht er deshalb kein bisschen ein. Seine ganze Liebe gilt der kleinen Ursula: „Wenn alte Leute einmal Kinder lieben, dann kennt ihre Leidenschaft keine Grenzen; (…) Erfahrung, Nachsicht, Geduld, alles im Verlauf des Lebens Erlernte, den ganzen so mühselig erworbenen Schatz liefern sie an das junge Leben aus, das sie verjüngt, und durch Einsicht übertreffen sie noch die Mutterliebe.“
Das kann man bestätigen, wenn man seinen 60jährigen Freund Attila beobachtet, der in Gegenwart der eigenen Tochter seinen mühsam erworbenen Zynismus verliert. Außerdem ist die Liebe der Mütter ja bekanntermaßen vollkommen überschätzt.
Obwohl ein überzeugter Atheist, lässt er Ursula ihren Glauben, er erkennt „sich nicht das Recht zu, Ursula der Segnungen zu berauben, welche die katholische Religion bietet.“ Eine solche Toleranz sollte man allen Eltern ans Herz legen, die eigene Ideale in ihren wehrlosen Kindern verwirklichen, die ihnen Fleisch und Geschlechterrollen verweigern, oder sie aus Gründen der Sozialromantik in verrohte Brennpunktschulen stecken.
Als Ursula fünfzehn ist, wird der Doktor von einem alten Kollegen nach Paris eingeladen. Der ist Anhänger des Mesmerismus und will den Skeptiker von seiner Lehre überzeugen. Es kommt zu einer Art Seance, bei der eine Bauersfrau dem Doktor weissagt, dass Ursula in den Nachbarsjungen Savinien de Portenduère verknallt ist. Der Doktor ist verständlicherweise frappiert.
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