Um zwischen den acht bis zehn täglichen Schreibstunden das alte Hirn zu entspannen, spielt man gern Videospiele, allen voran The Witcher 3: Wild Hunt. Man hat zu den Spielfiguren ein so inniges Verhältnis, dass man unfähig ist, die Netflix-Serie anzuschauen, weil die Schauspieler ihnen nicht im geringsten ähnlich sehen. Hat man das Spiel komplett durchgespielt, dauert es in der Regel sechs bis acht Monate, bis die nostalgische Sehnsucht nach der Spielwelt aufs Neue erwacht.
Man wartet dann meist noch ein paar Wochen, um dieses Gefühl bis zum äußersten auszureizen. Fliegt man in dieser Zeit irgendwohin, hofft man allein aus dem Grund nicht abzustürzen, weil man nochmal mit Geralt von Riva durch die Weinberge des Herzogtums Toussaint reiten will. Dann spielt man alles wieder von vorn. Man kennt das Spiel in- und auswendig, doch gerade dieses Zusammensetzen bekannter Teile ist so entspannend für das Organ im Kopf.
Als man es jedoch am gestrigen Abend starten wollte, lief es nicht mehr. Neustart und Neuinstallation halfen nicht. Man verbringt fast zwei Stunden in Online-Foren, mit der einzigen Erkenntnis, dass dieses Problem auch bei anderen auftritt. Vom einen Tag auf den anderen. Sämtliche vorgeschlagenen Maßnahmen fruchten nicht, man muss sich wohl damit abfinden. Leere und Traurigkeit. Als wäre ein alter Freund gestorben. Man steht vor der Wahl, einen neuen Laptop zu kaufen, oder vollends in die Sphäre entrückter Vollblutschriftsteller abzudriften. Vermutlich hat Balzac nur deshalb 93 Bücher geschrieben, weil ein Update von Windows 10 den Treiber seiner Grafikkarte zerschossen hat.
BAND 34: Das Antiquitätenkabinett, S. 1 – 50
Man bleibt im Provinzkaff Alençon, wendet sich aber von der alten Jungfer des letzten Bandes zur ältesten Adelsfamilie des Ortes, den d‘Esgrignon: „Dies Haus hatte sich im Innern seiner Provinz erhalten, wie die kohlschwarzen Pfähle einer von Cäsar erbauten Brücke sich auf dem Grunde des Flusses erhalten.“ Während der Revolution verarmt, will sein Oberhaupt, der Marquis d‘Esgrignon auch nichts vom Kaiser wissen, der „immer nur Herr von Buonaparte genannt“ wird. Aus Ärger über diese Rückwärtsgewandtheit taufen die Liberalen sein Haus „Das Antiquitätenkabinett“.
Nun tauchen alte Bekannte auf, es geht wieder um die Fehde zwischen dem Ritter von Valois und du Bousquier, zwischen Adel und Bürgertum. Du Bousquier will vor allem die d‘Esgrignon vernichten, weil ihr Name ihm ein Dorn im Auge ist, dabei haben sie längst kein Oberwasser mehr: „Dem Hause d‘Esgrignon fehlte das Fundament der Macht, die heute regiert, das Geld, das dem Adel von heute Ansehen gibt. Eine untätige vergessene Adelsfamilie ist wie ein albernes, häßliches, armes und braves Mädchen; Albernheit, Häßlichkeit, Armut und Bravheit sind nämlich die vier Hauptpunkte des Unglücks.“
Um ihnen den Todesstoß zu versetzen, richtet du Bousquier sein Auge auf den einzigen Nachkommen des Marquis, den verwöhnten Victurnien d‘Esgrignon: „Du Bousquier hatte in der widersinnigen Erziehung, die dem jungen Aristokraten zuteil wurde, die Möglichkeit einer furchtbaren Rache erkannt. Er hoffte das Lamm in der Milch seiner Mutter zu ertränken.“
Man kann es ihm nicht mal verübeln, allein bei der Beschreibung des Jünglings, die selbst die Schönheit des ewigen Adonis Lucien de Rubempré in den Schatten stellt, geht einem das Messer im Sack auf. Dazu kommen noch die angenehmsten Ansichten: „Unterhalb des Adels gab es für ihn nur Untergebene, Menschen, mit denen er nichts gemeinsam hatte, gegen die er zu nichts verpflichtet war, besiegte Feinde, Sklaven, um die er sich nicht zu kümmern brauchte“.
Um Victurnien zu stürzen, verschafft du Bousquier ihm ein paar durchtriebene Freunde, die ihn dazu treiben, Spielschulden zu machen und das ein oder andere Bürgermädchen zu schwängern. Die Familie sieht schließlich keinen anderen Ausweg, das maßlose Gör nach Paris zu schicken. Na, das kann ja heiter werden.
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