Man hat einen kaputten Lattenrost. Daran wird man bei jeder noch so leichten Drehung im eigenen Bett erinnert, weil sich eine der Latten aus ihrer Halterung löst, oder gleich zu Boden fällt. Jedes dieser Geräusche ist eine Demütigung, denn man ist natürlich selbst für den Zustand des Rostes verantwortlich. Beziehungsweise die eigene Ungeschicklichkeit.
Als man den Lattenrost im Möbelhaus um die Ecke gekauft hat, wurde man gefragt, ob eine Lieferung erwünscht sei. Man kennt jedoch die Logistik in Berlin, sah sich bereits vier Tage in Folge von 7 – 17 Uhr zuhause sitzen und vergeblich auf die Zustellung warten. Deshalb entschied man, den Rost nach Hause zu tragen, es sind nur sechshundert Meter vom Möbelhaus bis dorthin.
Allerdings hat man nicht bedacht, dass es ein besonders stürmischer Tag war. Der in Plastik eingeschweißte Lattenrost entpuppte sich als drei Quadratmeter großes Segel. Man wurde damit wie eine Slapstick-Figur an Hauswände gedrückt, ein lächerlicher Spielball von Mutter Natur. Also entfernte man zwangsläufig die dicke Folie, was einen zusätzlich ins Schwitzen brachte, und außerdem die Integrität des Lattenrostes zunichte machte. Durch das Tragen lösten sich die Halterungen aus dem Rahmen, eine Latte nach der anderen machte sich auf den Weg in die Freiheit. Sobald man eine wieder befestigt hatte, löste sich eine andere, und es waren noch immer dreihundert Meter bis zur Haustür, und man wurde von den Leuten angeglotzt, die mit offenen Mündern stehen blieben, unfähig zu begreifen, was man da tut.
Man überlegte ernsthaft, den Rost auf die Straße zu werfen und sich gleich daneben zu legen und alle Hoffnung fahren zu lassen. Doch dann biss man die Zähne zusammen und schleppte das Ding nach Hause, against all odds, mit dem Ergebnis, dass man einen neuen Lattenrost hatte, der kaputter war, als der alte. Und so lebt man nun seit beinahe drei Jahren, jede Bewegung im Bett ein Fanal für die eigene Unfähigkeit. Und man hat noch immer nicht die Hausverwaltung wegen der defekten Klospülung angerufen. Es ist ein weiter Weg bis Walhalla.
BAND 33: Die Lilie im Tal, S. 261 – 301
Henriette hat Wind gekriegt von Felix‘ Affäre mit Lady Dudley. She‘s not amused: „Die gleichgültige Schwäche dieser früher so lebensvollen Stimme, die Blässe des Tones verrieten einen gereiften Schmerz und atmeten den Duft welker Blumen aus. Der Orkan der Untreue war über meine Seele gezogen und hatte eine Wüste geschaffen, wo einstmals üppige Wiesen dufteten.“
Von welchen üppigen Wiesen Felix hier spricht, bleibt rätselhaft. Meint er die anämische Henriette, die mit ihrer so lebensfrohen Stimme pausenlos von irgendeiner depperten Tante quatscht? Es scheint so. Jedenfalls ist sie sich nicht zu schade, ihm Vorwürfe zu machen, nachdem sie ihn jahrelang mit ihrem frömmelnden Gezicke auf Abstand gehalten hat. Ein Versuch, ihr zu erklären, dass Männer auch Bedürfnisse haben, sexuelle Bedürfnisse, scheitert. Felix kriecht daraufhin wieder zu Kreuze: „Ich habe gefehlt, ja, es ist wahr, aber war ich nicht wie ein Hund in seiner völligen Anhänglichkeit? Ich komme wie er zurück voller Scham; wenn er Böses getan hat, wird er gezüchtigt, aber er verehrt die Hand, die ihn schlägt; vernichten Sie mich, aber geben Sie mir Ihr Herz zurück.“
Bis jetzt mochte man Felix ja trotz seiner skurrilen Vorliebe zu diesem Horrorweib. Dass er nun aber ausgerechnet Lady Dudley verrät, die einzige Figur, die nach 300 Seiten ein bisschen Leben in diesen Groschenroman bringt, kann man ihm nur schwer verzeihen. Zum Glück bleibt wenigstens die sich treu und feuert gegen die Konkurrentin: „Ich bin entzückt (…) deinen Geschmack für diese Art christlicher Unterhaltungen kennen zu lernen. Auf meinen Gütern lebt ein Pfarrer, der sich wie niemand darauf versteht, Predigten zu verfassen. (…) Ich werfe dir nicht deinen Geschmack vor, du hast sicherlich noch andere lasterhafte Gelüste als diese. Ich werde versuchen, mich an sie anzupassen, denn ich will, daß du in meiner Nähe alles, was du liebst, findest: Liebesfreuden, Tafelgenüsse, kirchliche Erbauung, guten Rotwein und christliche Tugenden. Willst du, daß ich heute abend ein Büßergewand anlege?“
Man merkt an solchen Stellen, dass der Spötter Balzac im Hintergrund kichert, dass wohl auch diese elend minutiöse Liebesgeschichte satirisch aufzufassen ist. Aber woher die Geduld nehmen? Welche Pointe ist so gut, dass man vorher hunderte langweiliger Seiten in Kauf nimmt? Vielleicht schreibt der Meister sich hier auch nur den Frust über Eveline Hánska vom Leib, die ihn schließlich jahrzehntelang am ausgestreckten Arm verhungern ließ.
Dann lieber wieder zu der guten Arabelle Dudley: „Diese Frau beleidigt dich, indem sie dich den anderen Menschen gleichsetzt, die Regeln der Moral sind auf dich nicht anwendbar, Gott hat dich über alles gestellt; bedeutet es nicht, sich ihm nähern, wenn man dich liebt. Könnte er einer armen Frau böse sein, die Sehnsucht nach göttlichen Dingen hat? Dein weites und leuchtendes Herz ähnelt so sehr dem Himmel, daß ich mich täusche wie die Fliegen, die in die Kerzen eines Festes fliegen und verbrennen. Wird man sie ihres Irrtums wegen strafen? Außerdem: ist es denn ein Irrtum? Ist es denn nicht eine erhabene Anbetung des Lichtes?“
So, und nicht anders liebt man, Henriette! Stopf dir das in die Pfeife.
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