BAND 31: Verlorene Illusionen, S. 394 – 445
Lucien gibt sein Debut bei der Zeitung und schreibt eine Kritik des gerade gesehenen Stückes. Der Stil seiner Feder, „die im Journalismus durch ihre neue, originale Art Revolution machte“, zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er statt über die Handlung über die Schönheit Coralies schreibt. Sie kriegt auch prompt ein Engagement für 15.000 Lappen am Gymnase, man fragt sich, warum man selbst nicht mehr bei der Zeitung ist. Lousteau bringt derweil ganz Paris zum Lachen, indem er Madame de Bargeton als Tintenfisch und den Baron du Châtelet als Reiher verspottet.
Natürlich versäumt Balzac bei all diesen sprunghaften Entwicklungen nicht, in regelmäßigen Abständen die schönen Löckchen Luciens zu preisen. Coralie ist davon ganz verwirrt und bringt alles durcheinander. „Ich würde dich auch lieben, wenn du häßlich und krank wärst!“, schwört sie, um ein paar Seiten später vor ihrem Sugardaddy Camusot zu bekennen: „ich liebe dieses Kind wie toll, nicht wegen seines Geistes, sondern wegen seiner Schönheit. Ich ziehe das Elend mit ihm den Millionen mit dir vor.“ Also was denn nun?
Lucien, im einen Moment noch stolz wie bolle, erschrickt bei diesem Bekenntnis, denn er schimpft zwar gern über den Reichtum, seine zwölf Seidenhemdchen am Tag will er aber trotzdem gern shoppen. Überhaupt geht er nicht sehr behutsam mit dem plötzlichen Ruhm um. Als er Madame de Bargeton und die Marquise d’Espard im Bois de Bologne trifft, beide bereit, wieder mit ihm anzubändeln, kostet er seine kurzlebige Macht aus: „Der Augenblick, in dem er zu den beiden Frauen einen Gedanken der Rache hinübersenden konnte, die sie selbst in sein Herz verpflanzt hatten, war einer der köstlichsten seines Lebens und bestimmte vielleicht sein Schicksal.“ Kann man meinen, wenn er es sich mit einer der hinterhältigsten und nachtragendsten Figuren der Comédie verscherzt.
Auch die Warnungen seiner aufrechten Freunde um Daniel d’Arthez schlägt er in den Wind, der Dichter verschreibt sich mit Leib und Seele der Hölle des Journalismus. Diesen Pakt muss er auch sogleich besiegeln und ein Buch seines Idols Raoul Nathan verreißen. Auf die Art soll der Verleger Dauriat nämlich dazu gebracht werden, seine Sonette zu publizieren. Bei alldem hat man ein bisschen das Gefühl, dem Untergang Anakin Skywalkers zuzusehen. Vorsicht du walten lassen musst, junger Padawan, Hochmut der Weg zur dunklen Seite der Macht ist.
Beste Figuren:
Die Frau des Journalisten Vernou, „die zu häßlich war, um nicht die rechtmäßige Gattin zu sein; (…) Das gürtellose Hauskleid wurde nur am Hals durch einen Knopf gehalten und fiel in großen Falten herab; es umhüllte sie so schlecht, daß man nicht umhin konnte, sie mit einem Prellstein zu vergleichen. Sie war geradezu zum Verzweifeln gesund, die Backen schimmerten beinahe violett, und die Finger glichen Blutwürsten.“
Felicien Vernou, der als Rache für diese Gattin die ganze Welt verflucht: „Man sollte ihn im öffentlichen Interesse von ihr befreien. Man würde damit eine Sintflut von boshaften Artikeln und von Epigrammen gegen alles, was Erfolg hat, vermeiden. (…) Er ist fähig, sich ein Auge auszureißen, wenn sein bester Freund dadurch gezwungen wird, sich beide Augen auszureißen; er braucht immer eine Beute, auf die er den Fuß setzt; nur wenn es jemand schlecht geht, lächelt er.“
Und das sind nun die neuen Freunde Luciens.
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