Nach der Euphorie der vergangenen Woche ist man nun in dem Stadium angelangt, das jeder Künstler unweigerlich irgendwann durchstehen muss, um die Belastbarkeit seiner kläglichen Psyche zu testen: das Warten. Es reicht nämlich nicht, dass man mit einem Ego geplagt ist, mit einer ungesund ausgeprägten Empathie und Beobachtungsgabe, die einem den Alltag zum Härtetest machen. Sobald man sich darin notdürftig eingerichtet hat, still und bescheiden an seinen lachhaften Werken bosselt, kommt eine Agentur oder ein Verlag daher und wedelt mit einem Vertrag, wie mit einem Knochen vorm Hund. Man schnüffelt daran, rennt ein paar Runden im Kreis, bis man sich mit dem Gedanken anfreundet, dass so ein Vertrag eine recht nette Sache wäre.
Und dann kommt das Warten.
Es stellt sich nämlich immer heraus, dass die Person, die einem den Vertrag angeboten hat, nicht die alleinige Entscheidungsgewalt hat. Sie muss das Projekt erst noch durchsetzen. Man versteht das, vor allem weil die Person ebenso rechtschaffen, wie idealistisch wirkt. So sind die Regeln des Spiels. Aber irgendwie war man allein mit seinem Schreibgerät auch ganz zufrieden.
Das Warten. Wer wissen will, wie es sich anfühlt, schaue die elend lange Redux-Version von Apocalypse Now. Wenn nach all den Stunden endlich Marlon Brando auftaucht, ist es immer noch nicht soweit. Erst am Schluss, wenn er mit sterbender Stimme sagt: „Das Grauen… das Grauen.“ Dann ist man da. Und so hört es sich an. Das Warten.
Das Warten.
BAND 30: Eugenie Grandet, S. 89 – 145
Noch schläft Vetter Charles und ahnt nichts vom Tod seines Vaters. Eugenie und ihre Mutter riskieren ihr Leben, weil sie gegen den Willen des alten Grandet zwei Eier zum Frühstück besorgen und den Zucker einfach so auf den Tisch stellen, ohne die Stücke abzuzählen. Charles erwacht gegen elf und wundert sich, dass er nicht länger schlafen konnte. Da sind die anderen bereits seit sechs Stunden wach. Er lässt es sich schmecken, bis der geizige Onkel erscheint: „,Das ist Papa!‘ sagte Eugenie. Sie nahm die Untertasse mit dem Zucker weg und ließ nur ein paar Stücke auf dem Tischtuch liegen. Nanon trug den Eierteller fort. Frau Grandet stand auf wie ein verschrecktes Reh. Es entstand eine panische Furcht, über die Charles sich wunderte, ohne sie sich erklären zu können.“
Aus Ärger über die Verschwendung in seinem Haus berichtet der Alte recht unsensibel vom Bankrott und Tod seines Bruders. Charles rennt heulend ins Zimmer, wo er auch erstmal bleibt, ohne sich von seinem Verlust erholen zu können.
Eugenie, die bisher so unter der Fuchtel gehalten wurde, dass sie keinen Schimmer vom unermesslichen Vermögen ihres Vaters hat, riecht langsam Lunte. Und stellt dann ganz nüchtern fest, dass man als Millionäre doch sehr leicht dem Vetter aus seinem Bankrott helfen könnte. Für den Alten nicht weniger als ein Aufruf zur Revolution. Er zieht sich zurück, brütet die ganze Nacht, wie er seiner moralischen Pflicht nachkommen kann, ohne einen Sous zu verlieren. Am nächsten Morgen scheint er gerüstet: „,Entschieden geht hier etwas Außergewöhnliches vor‘, sagte Frau Grandet. ,Das ist erst das drittemal seit unserer Hochzeit, daß dein Vater ein Essen gibt.’“
Es folgt eine lange Konversation zwischen dem alten Grandet und seinen Schachfiguren, den Grassins und Cruchots. Um ihnen Sand in die Augen zu streuen, tut der Geizhals dabei so, als würde er stottern, was Balzac auch etwa zwölf Seiten lang durchexerziert. Das liest sich dann so: „Ich habe noch nie W… W… Wechsel ausgestellt. Was ist das, ein Wechsel? Ich habe v… v… viele be… be… bekommen, aber nie welche gez… z… zeichnet. Die werden eink… kassiert, die w… w… werden d… d… diskontiert. Das ist a… a… alles, was ich w… weiß. Ich habe s… s… sagen hören, d… d… daß man W… W… Wechsel z… zurückk… kaufen k… könnte?“
Wie gesagt, zwölf Seiten lang. Worum es dabei nun eigentlich geht, kriegt man aus Ungeduld leider nicht mit, aber der Alte wird schon sehen, wo er bleibt. Die einzige, die ihm vielleicht in die Quere kommen könnte, ist Eugenie, denn sie ist inzwischen sterblich in ihren Vetter verliebt.
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