Rückflug von Venedig Marco Polo nach Berlin, der südländisch wirkende Sitznachbar liest im Koran. Ist man bereits von Balzacs reaktionärer Weltsicht angesteckt worden, wenn man diverse Szenarien durchspielt, zum Beispiel das, bei dem man dem Sitznachbarn den Weg zum Cockpit zu versperren versucht? Nein, vermutlich war man vorher schon reaktionär. Jedenfalls keine Lust auf Entführung und Rundflüge über Libyen und Uganda.
Vorsichtiger Test, ob ein Nippen am mitgebrachten Scotch missbilligende Blicke nach sich zieht. Dabei soll der Prophet ja nur gegen den Fusel gewesen sein, weil sein Schwiegervater so ein Suffke war. Was wiederum bedeutet, dass man als Trinker selbst daran schuld ist, wenn man in Jordanien nur alkoholfreies Bier zu kaufen kriegt. Dann wieder Erstaunen darüber, dass einer der größten Importeure von Kentucky-Whisky, na?, natürlich Saudi-Arabien ist. Man kann sich richtig vorstellen, wie die frömmelnden Ölscheichs aus den Fenstern ihrer Elfenbeintürme hängen und schmutzige Lieder anstimmen. Es lebe der Säkularismus. Und dass man diese hämischen Gedanken so ohne weiteres aufschreiben kann, beweist ja nur, dass man noch unbehelligt Richtung Brandenburg schwebt. Vielleicht sind die arabischen Kalligraphien auch gar nicht der Koran, sondern der Entwurf für eine vegane Speisekarte.
BAND 27: Beatrix, S. 208 – 260
Camille hat einen Masterplan, wie sie Béatrix dazu bringt, sich in Calyste zu verlieben. Hierfür muss der Verliebte nun täglich zu ihr kommen, stundenlang tatenlos in ihrem verrauchten Zimmer sitzen und Béatrix die kalte Schulter zeigen. Um die störrische Schönheit zusätzlich aufzuganseln, behauptet Camille, dass sie ohne Calystes Liebe nicht leben könnte. Für Béatrix ist das natürlich der Startschuss, um den Jüngling erst recht zu verräumen, die Spiele können beginnen: „Die beiden Frauen sahen einander an wie zwei Inquisitoren des venetianischen Staates. In einem blitzschnellen Blick stießen ihre Seelen zusammen und schlugen Funken wie Feuersteine.“
Was einem der Meister wohl damit sagen will? Jeder weiß doch, dass sich Frauen niemals, nie im Leben, unsolidarisch gegeneinander verhalten würden. Oder doch? Béatrix geht der klugen Camille jedenfalls gründlich auf den Leim: „Die Marquise wurde von ihrer Freundin geknetet wie Wachs. Es bereitete Félicité eine grausame Wollust, sie in ihre Listen zu verstricken. Sie entließ Béatrix, von namenloser Neugier aufgestachelt, zwischen Eifersucht und Großmut schwankend, aber sicherlich mit dem schönen Calyste beschäftigt.“
Bei alldem leidet Camille/Félicité allerdings wie ein Hund, schließlich liebt sie Calyste wirklich. Nächtelang heult die große Schriftstellerin und ballert sich mit Opium zu. Man fragt sich, warum Balzac sie als so starken Freigeist eingeführt hat, um sie nun zum liebeskranken Backfisch zu degradieren.
Selbstverständlich überrascht es nicht, dass Calyste den mühsam durchgeführten Plan nach wenigen Tagen vermasselt. Ungeduldig beichtet er Béatrix seine Liebe, wodurch sie sofort wieder frostig wird. Daraufhin reitet er sich mit einem Brief noch weiter rein: „Ich weiß, Béatrix, daß Sie mich nicht lieben können, ohne Ihre Selbstachtung einzubüßen. Ich verlange daher keine Gegenliebe. (…) Mein Herz wird einer kalten, rachgierigen, eifersüchtigen Marmorstatue als Sockel dienen.“
Dass Liebe in diesen Melodramen auch immer gleichbedeutend damit sein muss, sich wie ein Schwein im Morast zu suhlen. „Wie der Anfang, so strotzte auch das Ende des Briefes von Ausrufszeichen, deren sich die moderne Literatur an gefährlichen Stellen so gerne bedient und die der Phantasie des Lesers wie ein schmaler Balken helfen soll, die Abgründe ihrer Geistesleere zu überbrücken.“
Béatrix lässt den öden Schleimer abblitzen und begreift nun, wie sehr sie von Camille hinters Licht geführt wurde. Es kommt zum Catfight, in dessen Verlauf sie aus reiner Bosheit behauptet, Calystes Liebe erhören zu wollen: „Diese Bemerkung trennt uns für immer, Béatrix; wir sind keine Freundinnen mehr! Zwischen uns beginnt ein furchtbarer Kampf, und jetzt schon sage ich dir: Du wirst unterliegen oder die Flucht ergreifen…“
Wenn man bedenkt, dass all dies Blut und all diese Tränen wegen eines verzogenen Vollpfostens wie Calyste vergossen werden, ist dieses Trauerspiel schon fast wieder lustig.
Beste Stelle:
Wenn der Meister sich selbst und seine denkwürdige Beobachtungsgabe, den weiblichen Alterungsprozess zu überwachen, auf den Arm nimmt: „Das sind die beiden Stellen [Schläfen und Handgelenke], die bei Frauen niemals lügen, (…) so sagte doch einmal ein Schriftsteller, der unserm Elend nachspürte, nicht? Man muß viel gelitten haben, um die Richtigkeit seiner grausamen Beobachtung zu erkennen. Aber zu unserm Glück verstehen die meisten Männer nichts davon und lesen diesen schmählichen Autor nicht.“
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