Beatrix, Teil V

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Erwachen in Venedig Canareggio, Möwengeschrei und juckende Gelsenstiche. Vom Traum noch ein Restkichern mit ins real life herübergerettet. Man war bei einer Art Therapiesitzung, Gruppentherapie, und konnte sich an einen vorherigen Balzac-Traum über die Zeit der Terreur und das anschließende Jahr 1794 erinnern. Was daran so lustig war, erinnert man nicht, jedenfalls wollte man den anderen Therapie-Teilnehmern davon berichten. Es wurde ein Tee gereicht, von dem man high werden sollte. Weil das High jedoch zu stark ausfiel, wurde der vorherige Diazepam-Missbrauch entlarvt, weshalb man die Gruppe verlassen musste. Dabei hatte man so gehofft, glänzen zu können, sie bestand nämlich aus Franzosen.
Während Kind und Eltern um einen herum wuseln und über das Sichtbare sprechen („Ich habe das Handtuch über die Tür gehängt“, „Die Steckdosen haben drei Löcher“, „Aus der Küche sieht man die Lagune“), versucht man Balzac zu lesen. Im Anschluss fährt man mit dem Wasserbus auf den Lido, wo man eine Rikscha mietet und entlang der Lagune bis nach Alberoni radelt. Glückseliges Kind. Meistbenutzter Satz bisher: Prendiamo un acqua frizzante, un mezzo litro di vino rosso della casa e due Sprizz, per favore.

BAND 26: Beatrix, S. 149 – 175

Bevor Calyste der verheißungsvollen Ankunft von Beatrix beiwohnen darf, wird er erstmal gehörig von Claude gefoppt: „…sie würden gut zueinander passen. Sie ist zehn Jahre älter als er, und er sieht aus wie ein junges Mädchen. (…) Es ist doch auch nur zu natürlich, daß sich die Jugend auf reife Früchte stürzt, und der Herbst des Weibes bietet ihr gar viele, herrliche und sehr saftige.“
Auch bei sich zuhause geht es dem verknallten Junker nicht besser, wo er sich jedes Mal wie ein Schulkind für seine späte Heimkehr rechtfertigen muss. Außerdem liegt man ihm pausenlos mit der fixen Idee in den Ohren, eine farblose Nichte aus dem Schlottergreis-Genpool zu heiraten. Bleibt nur die Flucht nach vorn, wobei Balzac bekanntlich niemanden vor der präventiven Entflammung bewahrt: „In der glühenden Wüste einer grenzenlosen, unerfüllten Sehnsucht stürzte sich seine Jugend mit aller Kraft auf das erste Weib, das sich ihm bot. Béatrix erbte die Liebe, die Félicité verschmäht hatte.“

Endlich trifft er die vielversprechende Marquise, die sich für den Anlass ganz lässig ein paar zwanglose Kornblumensträuße ins Haar gesteckt hat. Sie gefällt ihm dabei so gut, dass er direkt eifersüchtig auf die anderen anwesenden Herren wird: „Er dachte dabei, daß die Türken ganz recht hätten, ihre Frauen abzuschließen, und daß es schönen Geschöpfen verboten sein sollte, sich liebesentbrannten Jünglingen in ihrer verwirrenden Koketterie zu zeigen.“
Letzterem kann man nur zustimmen, wenn man im Berliner Sommer an jeder Ecke mit allzu leichter Bekleidung konfrontiert wird. Sex ist etwas, für das man sich Zeit nehmen möchte. Man will ihn nicht aufs Auge gedrückt kriegen, während man im Gehen einen Döner verspeist.
Als Anfänger in Liebesdingen zeigt Calyste so unverblümt seine Gefühle, dass die Marquise direkt abgeturnt ist: „Sie warf ihm daher nur gelegentlich einen tadelnden Blick zu, der wie eine Schneelawine auf ihn herniederfiel.“

Dazu kommt die Gewissheit, dass er nie im Leben mit so geistreichen Typen wie Gennaro Conti oder Claude Vignon wird mithalten können. Calyste tut das einzige, was einem in so einer Situation zu tun übrig bleibt: Er verkriecht sich heulend in einer Nische. Doch plötzlich steht Claude vor ihm, mit der Eröffnung, dass Félicité/Camille sich nun doch dazu entschieden hat, ihn zu lieben. Was den armen Jungen erst recht in Verlegenheit bringt, schließlich gibt es für ihn nur noch Béatrix.
Das Gute an solchen ausweglosen Situationen ist meist die Erkenntnis, dass man am Ende gar keine Frau kriegt. Zumindest hat man das schon oft so erlebt, sowohl im Liebesleben, als auch als Schriftsteller. Verlage, die sich um einen reißen, um einen dann aufgrund der Absage eines Konkurrenten wieder fallenzulassen. Frauen, denen man behutsam mitteilen will, dass man sich für eine Andere entschieden hat, nur um von ihnen zu erfahren, dass sie niemals wirklich interessiert waren (ebenso wenig, wie die, für die man sich entschieden hat).
Mal sehen, wie Calyste sich aus diesem Dickicht befreien wird.

Beste Stelle:

Wenn Béatrix sich über Calystes Anbetung beschwert: „…wir wären recht unglücklich, vor allem aber unwürdig, wenn wir all den Leidenschaften nachgeben würden, die wir einflößen!“
Ein Mustersatz, um in Zukunft unliebsame Groupies abzuwehren.

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2 Gedanken zu “Beatrix, Teil V

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