Die Klospülung hat ein Leck. Es ist ein kleines Leck in dem Rohr, das vom Spülkasten zur Kloschüssel führt. Bei jeder Spülung tritt durch den Druck etwas Wasser aus, weshalb man einen Teller darunter gestellt hat, um es aufzufangen. Einen Kinderteller der Tochter, mit einem Igel darauf. Das ist der einzige, der unter das Rohr passt. Etwa alle zwanzig Spülungen muss man den Teller leeren, damit er nicht überläuft. Allerdings kam man neulich nach einem 36-Stunden-Besäufnis nach Hause und das halbe Bad war überschwemmt. Offenbar tritt also auch ohne Druck etwas Wasser aus.
Der erster Impuls bei so was ist, das Leck selbst zu schließen, provisorisch natürlich, denn professionell kann man es nicht. Klopapier um das Loch, dann ordentlich Gafferband außen herum, viel hilft viel. Doch dann denkt man sich, dass mit möglichen Wasserschäden nicht zu scherzen ist. Außerdem zahlt man so unverschämt viel Miete, dass die Hausverwaltung ja ruhig mal einen Handwerker schicken kann.
Das Problem dabei ist nur, dass man dazu die Hausverwaltung anrufen muss. Und damit tut man sich sehr schwer. Man weiß nicht wieso, aber diese kleinen Hürden des Alltags sind für einen unüberwindlich. Man kann 16.000 Seiten Balzac lesen, man kann Bücher schreiben und malen und Klavier spielen, aber bei der Hausverwaltung anrufen kann man nicht. Beziehungsweise könnte man es, aber dann wäre die gesamte Energie für den Tag verbraucht. Man könnte nichts anderes mehr tun, dabei ist doch alles andere wichtiger als diese bescheuerte Klospülung.
Auf die Art gehen die Einrichtungen des Alltags um einen herum immer mehr aus dem Leim. Zuerst ging der Lichtschalter im Bad nicht mehr, weshalb man dort eine Lichterkette installierte. Jetzt ist es in der Küche das gleiche Spiel. Mit der wachsenden Lächerlichkeit des Ganzen wächst auch der eigene Trotz. Man ist nun mal Künstler! Man kann sich nicht um so banale Dinge kümmern. Da lässt man lieber alles sausen und verkommt im eigenen Dreck, als dass man sich vor so kleinmütigen Aufgaben beugt.
Nachtrag: Im Überschwang hat man nun bei der Hausverwaltung angerufen. Man hing etwa zehn Minuten in der Warteschleife. Dann legte man auf.
BAND 18: Oberst Chabert, S. 52 – 100
Der liebe Oberst Chabert ist genau wie man selbst. Er mag ja im Recht sein, mit etwas Geduld würde er seinen Prozess gewinnen und zu altem Ansehen aufsteigen. Aber er hat einfach keinen Bock auf den Stress: „Das Militärrecht, kurz und bündig, entscheidet mit ja und nein, schuldig oder unschuldig und es entscheidet fast immer richtig. Es war das einzige Recht, das Chabert kannte. Jetzt sah er den Schlangenknoten von Schwierigkeiten, der zu entwirren war, nun begriff er, wieviel Geld man brauchte, um ihrer Herr zu werden, und nun erhielt der arme Soldat eine tödliche Wunde dort, wo die Männlichkeit des Mannes sitzt, im Willen. Es schien ihm unmöglich, ewig in Prozessen zu leben, tausendmal einfacher war es für ihn, arm zu bleiben, sich als einfacher Kavallerist in einem Regiment einstellen lassen, wenn man ihn annehmen wollte.“
Ausgestattet mit einer Generalvollmacht geht Derville zur Gräfin Ferraud und konfrontiert sie mit dem Wiederauftauchen ihres verstorbenen Gatten. Sie tut ein wenig herablassend, kriegt vom Anwalt aber schnell die Drähte stramm gezogen. Der ist nämlich gut über ihre Lebensumstände unterrichtet, weiß zum Beispiel, dass ihr standing in der Gesellschaft und beim Grafen Ferraud ziemlich schlecht ist. Das Letzte, was sie nun gebrauchen kann, ist ein Skandal.
Sie willigt ein, in die Kanzlei zu kommen, um dort die Papiere für einen Vergleich zu unterschreiben. Dort trifft sie allerdings auf den vor Wut schäumenden Oberst, der nun ein pikantes Detail enthüllt: Die Gräfin Ferraud war einst eine Prostituierte, nur ihm hat sie ihren Aufstieg zu verdanken. Sie rauscht türenknallend ab, lauert dem Obersten jedoch vor dem Haus auf und lockt ihn in ihre Kutsche. Plötzlich zuckersüß, umschmeichelt sie den Alten und bringt ihn auf ihren Landsitz. Man ahnt, was nun kommt. Sie wird ihn um den Finger wickeln, um ihn dann endgültig abzuservieren, als Rache für die Demütigung.
Und tatsächlich schmilzt der Oberst vor ihrem Charme dahin, ist bereit ihr zu verzeihen, auf seine Ansprüche zu verzichten. „Die Gräfin warf ihm einen Blick voll Dankbarkeit zu, so dankbar, daß der arme Chabert am liebsten wieder in seine Totengrube zu Eylau zurückgekehrt wäre. Nur wenige Menschen haben die Kraft zu solchen Entschlüssen, aber sie werden durch das Gefühl belohnt, alles für die geliebte Person getan zu haben.“
Er wäre nicht der erste Mann in der Comédie, der aus hehren Zielen handelt und dann von niederträchtigen Furien in den Abgrund gestoßen wird. Denn natürlich wird klar, dass die zärtlichen Anwandlungen der Gräfin geheuchelt sind, dass sie eine gefühllose Opportunistin ist. Doch wo die Leidtragenden bisher meist überkandidelte, melodramatische Clowns waren, mit denen man wenig Mitleid hatte, verweigert der Oberst den Kampf aus purer Lustlosigkeit.
Als Derville ihm Monate später begegnet, ist er wieder ein Vagabund.
„,Wie kann das sein,‘ fragte Derville, ,haben Sie denn keine Rente mit ihr ausgemacht?‘
,Ach, sprechen Sie mir nicht davon!‘ antwortete der alte Militär. ,Meinen Widerwillen gegen die Äußerlichkeiten des Lebens können Sie nicht ermessen. Die andern mögen diese Dinge interessieren, ich aber habe eine Krankheit acquiriert, sie heißt: Ekel vor allem, was wie ein Mensch aussieht.“
Womit an dieser Stelle nicht gesagt sein soll, dass man sein Schicksal widerstandslos zu akzeptieren hat. Aber manchmal sind Kämpfe einfach nur lästig. Oder wie ein weiser Mann einst gesagt hat: If I‘m to choose between one evil and another, I‘ll rather not choose at all.
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