BAND 9: Gobseck – S. 25 – 77
Nachdem Gobseck nun in allen Farben des Zynismus schillert, schwenkt Balzac um und verleiht ihm Größe. Zumindest einen Hauch davon. So leiht der alte Wucherer seinem Nachbar Derville das Geld für eine Anwaltskanzlei und nimmt dafür nicht die üblichen 200 – 500 Prozent Zinsen: „Aber um unserer Bekanntschaft willen würde ich mich mit zwölfeinhalb Prozent pro Jahr… er zögerte… Jawohl, bei Ihnen werde ich mich mit dreizehn Prozent pro Jahr begnügen.“
Derville wird sein einziger Vertrauter und dadurch Zeuge des Falles Anastasia de Restaud. Die Mutter des eingangs erwähnten Ernest hat ein Verhältnis mit einem berüchtigten Dandy, der im Jahr 100.000 Francs verschleudert, ohne eigene Einkünfte zu haben: „Graf Maxime von Trailles ist ein seltsames Geschöpf, gut zu allem und tauglich zu nichts, gefürchtet und verachtet, (…) bald feige, bald edel, mehr mit Schmutz als mit Blut bespritzt, er hat mehr Sorgen als Gewissensbisse und ist mehr beschäftigt, gut zu verdauen als zu denken“.
Auch die Gräfin hat er dermaßen geschröpft, dass sie gezwungen ist, die Familienbrillanten der Restauds bei Gobseck zu versetzen. Ihr Gatte kriegt Wind davon, auch von der nicht unwesentlichen Tatsache, dass Ernest sein einziger leiblicher Sohn ist. Die anderen beiden hat Anastasia mit Maxime gemacht. Der Graf von Restaud beschließt, seine Frau zu enterben. Dafür überschreibt er sein ganzes Vermögen an Gobseck, damit dieser nach seinem Tod alles regelt. Auf Drängen des aufrechten Derville fügt er jedoch eine Klausel ein, dass seine beiden Bastardkinder auch versorgt werden sollen.
Anastasia ahnt derweil Schreckliches. Nach dem Tod ihres Gatten durchwühlt sie dessen Sachen. Als Derville und Gobseck dazu kommen, hat sie bereits das Testament des Grafen verbrannt, im Glauben, damit ihre Kinder zu retten. „,Gnädige Frau‘, sagte ich indem ich ein Blatt aus dem Kamin riß, das vom Feuer noch nicht verzehrt war, ,Sie haben Ihre Kinder zugrunde gerichtet! Dieses Schriftstück war die Besitzurkunde aller Ihrer Güter.‘ Ihr Mund verzog sich, als habe sie einen Schlaganfall bekommen. ,Hehe!‘ rief Gobseck, dessen Kichern auf uns wirkte, als wenn man mit scharfer Schneide auf Marmor kratzt.“
Der Wucherer reißt daraufhin alles an sich und tut so, als hätte es keinen Deal mit dem Grafen gegeben. Derville ist schockiert. Nur um am Ende seiner Erzählung zu enthüllen, dass Gobseck sich vorbildlich um alles gekümmert und die Restaud-Kinder versorgt hat. Ernest wird also bald schwerreich sein und könnte somit Camille de Grandlieu heiraten. Gilt es nur noch das berechtigte Misstrauen der Gräfin Grandlieu zu überwinden.
Beste Stellen:
Wenn Derville fragt, warum Gobseck bei der Kreditvergabe seine Geburtsurkunde sehen wollte. „Jean-Esther van Gobseck zuckte die Achseln, lächelte boshaft und antwortete: ,Wie töricht die Jugend ist! Merken Sie sich, Herr Advokat, denn es ist wichtig für Sie, damit Sie sich nicht übertölpeln lassen, daß bis zum dreißigsten Jahre Rechtschaffenheit und Talent noch eine Art Hypothek sind. Ist dieses Alter überschritten, so kann man nicht mehr auf einen Menschen rechnen.’“
Wenn Gobseck die Brillanten mit einer Hingabe prüft, die Gollum und dem Einen Ring Ehre machen würde: „Schöne Brillanten! Vor der Revolution hätten sie einen Wert von dreihunderttausend Franken gehabt. Dies Wasser! Echt asiatische Diamanten aus Golconda oder Visapur. Wissen Sie, welchen Wert die haben? Nein, Gobseck ist der einzige in Paris, der sie zu schätzen weiß.“
Mein Schatzzzzzsssss.
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