BAND 6: Der Eintritt ins Leben, S. 51 – 100
Gerade als man sich über den ungewöhnlich linearen Einstieg ins Geschehen gefreut hat, weil man nur der Handlung folgen darf, ohne im Kopf mit diversen Namen und Biographien jonglieren zu müssen, kommt es wieder zu einer orgiastischen Personal-Explosion. Immerhin ist der Schauplatz der Geschichte eine Postkutsche, und die will bis auf den letzten Platz gefüllt sein, allein schon aus Gründen der Nachhaltigkeit.
Ich packe meinen Koffer und nehme mit:
– den 19jährigen Oscar Husson, der von seiner alten Mutter verabschiedet wird, von der wir wiederum erfahren, dass sie mal die Kammerzofe von Napoleons Mutter war und nun aus unerfindlichen Gründen vom Verwalter Moreau ausgehalten wird.
– einen Dandy namens Georges, der von seinem Kumpel Amaury zum Wagen begleitet wird, und sich über Oscars ärmliche Kleidung lustig macht.
– den fetten, alten Léger, einen Pächter vom Lande.
– den bereits erwähnten Grafen von Sérisy, den seine Mitreisenden irrtümlich für Herrn Graff halten, was ihn wiederum freut, weil er ja anonym bleiben will.
– unseren alten Bekannten Hippolyte Schinner, den Maler aus Die Börse, mit seinem Gehilfen Mistigris.
Der Kutscher Pierrotin beweist seinen Humor, indem er dem Leser und seinen ungeduldig auf die Abfahrt wartenden Fahrgästen androht, auch noch die beiden Notsitze mit Reisenden füllen zu wollen. Doch dann geht die Fahrt ins sieben Meilen entfernte l’Isle Adam endlich los. Die zusammengewürfelten Reisegefährten mustern sich zunächst gegenseitig: „Jedes Volk hat seine Sitten. Die Engländer setzen ihren Stolz darein, kein Wort zu sagen, die Deutschen sind auf Reisen melancholisch, die Italiener zu vorsichtig, um sich in ein Gespräch einzulassen, die Spanier haben keine Postkutschen und die Russen keine Wege.“
Im anschließenden Gespräch tut sich vor allem der Dandy Georges hervor. Obwohl erst knapp über zwanzig, behauptet er, unter Napoleon gekämpft und eine aberwitzige Karriere im Orient hingelegt zu haben, aus dem er gerade zurückkehrt. Auf scheinbar harmlose Zwischenfragen des Grafen, der ja wirklich einer der höchsten Offiziere Napoleons war, reagiert er herablassend. Auch die anderen behandeln den Grafen, in ihren Augen ein kleiner Krämer, zunehmend respektlos.
Das wird dadurch besonders lustig, dass der kluge Graf schon bei der ersten Rast die Beweggründe seiner Mitreisenden erfährt: der aufsässige Oscar soll von seinem Verwalter Moreau zu dessen Nachfolger ausgebildet werden, der freche Maler die Decken seines Schlosses bemalen. Der unverschämte Georges ist in Wirklichkeit nichts weiter als der Schreiber des Notars, den der Graf für die Abwicklung des Landkaufs engagiert hat. Und Léger ist der aktuelle Pächter eben dieses Stück Landes, der den Grafen zusammen mit Moreau übers Ohr hauen will.
Die ganze Geschichte dürfte also für einige bald ziemlich peinlich werden.
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