Zwei Frauen, Teil I

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Schon nach zwei Bänden ist man überrascht, wie modern und aktuell die Konflikte bei Balzac sind. Natürlich riecht auch alles ein wenig nach Seifenoper. Aber es gibt starke, selbstbestimmte Frauenfiguren. So etwas hätte man in der Schule lieber gelesen, als Fontane Effi Briest. Aber was weiß man selbst schon?
Immer wenn man sich in seinen eigenen Romanen starke, weibliche Figuren ausdenkt, heißt es, das wären „frauförmige Projektionsflächen“ oder „wandelnde Männerfantasien“. So hat es zumindest mal ein Kritiker der taz ausgedrückt. Als ob es so eine Art cultural apropriation wäre, wenn ein Mann über Frauen schreibt. Oder so anmaßend ist, überhaupt zu schreiben. Eine Bloggerin fing mal in einer Rezension mit der Einleitung an: „Bitte nicht noch so ein weißer cis-Dude, der glaubt, er hätte was zu erzählen.“ Natürlich können solche Kommentare nur von social-media-verirrten Stadtmenschen kommen, aber leider liegt die eigene Wahlheimat mitten in ihrer Blase.
Jedenfalls freut man sich nun auf den ersten vollwertigen Roman der „Comédie Humaine“. Er ist etwas mehr als 300 Seiten lang. Balzac hat ihn George Sand gewidmet.

BAND 3: Zwei Frauen, S.1 – 66

Die Euphorie erhält direkt einen Dämpfer. Es ist ein Briefroman. Seitdem einem der Werther eingeprügelt wurde, findet man dieses Genre merkwürdig. Als ob irgendjemand solche Briefe schreiben würde. Auf Seite 33 auch gleich ein gutes Beispiel für eins der Probleme, die sich in diesem Genre stellen. Balzac beschreibt nun mal sehr gern seine Figuren, aber hier kann er ja gar nicht als Erzähler auftreten. Die Figur beschreibt sich also selbst:
Die blondeste Tochter der blonden Eva wäre eine Negerin neben mir. Meine Füße sind wie die der Gazellen, alle Gelenke sind zart, und meine Züge weisen die Regelmäßigkeit griechischer Bildnisse auf. Zugegeben, Mademoiselle, die Töne der Haut sind noch ohne Schmelz, doch von lebhafter Frische: Ich bin eine entzückende Frucht mit allen Reizen der Vorreife. (…)
Meine Stirne strahlt; in anmutigstem Ansatz schwellen die Haare in kleinen goldenen Wellen (…)
Meine Nase ist schlank, die Nüstern scharf geschnitten und durch ein zartrosa Mäucherchen getrennt; sie ist herrisch, mokant, und ihre Spitze viel zu nervös, um je dick oder rot werden zu können. (…) Meine Ohren sind zu koketten Muscheln gewunden (…) Der Hals ist länglich und besitzt die schlangenhafte Geschmeidigkeit, die soviel Hoheit verleiht.“
Drei Seiten lang schwillt und perlt und knospt die Gute vor sich hin. Jetzt weiß man auch, wo Proust die Inspiration für seine überbuchtelnden Beschreibungen fand.

Die Frau, die diese Zeilen schreibt, heißt übrigens Louise de Chaulieu, wieder mal Hochadel. Ihre Adressatin ist Renée de Maucombe, beide sind zusammen in einem Kloster aufgewachsen, und gerade erst daraus geflohen. Louise wird ins mondäne Leben der Pariser Salons eingeführt, Reneé bleibt auf dem Land und heiratet. Das Duell der Lebensentwürfe kann losgehen.

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2 Gedanken zu “Zwei Frauen, Teil I

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