BAND 1: Das Haus zur ballspielenden Katze, S.49 – 94
Die jungen Liebenden erhalten den Segen der biederen Eltern. Euphorisch schenkt der Maler ihnen eines seiner kostbaren Bilder. Der alte Tuchhändler bleibt trotzdem misstrauisch, denn er lässt sich „nicht durch die dreißigtausend Franken blenden, die einer dadurch verdient, daß er gute Leinwand verdirbt.“
Nun folgen große Zeitsprünge auf wenigen Seiten. Hochzeit, ein glückliches Ehejahr, dann beginnt die Entfremdung, „ohne daß die kleinste Wolke das Blau ihres Himmels getrübt hätte.“ Augustine weiß nicht, wie ihr geschieht, denn sie liebt ihren Mann bedingungslos. Während sie einen Sohn zur Welt bringt, fängt Theodor wieder an auszugehen, beginnt eine Affäre mit der männerfressenden Herzogin von Carigliano. Ist es glaubwürdig, dass Balzac nun Augustines Position bezieht? Schließlich ist er auch Künstler, und ein alter, weißer Mann noch dazu. Jedenfalls verhält Sommervieux sich wie eine Sau. Wirft seiner Frau vor, dass sie ungebildet ist, dass sie „kein Verständnis für das Künstlerische besaß: sie lebte nicht in seinem Ideenkreis, sie folgte ihm nicht bei seinen Einfällen, seinen Phantasien, seinen Freuden und Leiden.“
Augustine gibt sich derweil an allem selbst die Schuld, klar. Sie sucht Trost bei ihrer Schwester, bei ihren Eltern. Die sind natürlich keine Hilfe, raten sofort zur Scheidung und lassen Augustine mit der Erkenntnis zurück, „daß es unmöglich sei, einen Menschen von höherem Rang von Durchschnittsgeistern aburteilen zu lassen.“
Noch zehn Seiten bis zum Ende der Erzählung. Was kann da noch passieren? Augustine geht zur Herzogin von Carigliano, „nicht um das Herz ihres Gatten von ihr zurückzuverlangen, sondern um der Künste teilhaftig zu werden, durch die es ihr geraubt worden war.“ Die Herzogin ist auch direkt gerührt von Augustines naiver Unschuld. In einem hübschen Plot-Twist wechselt sie auf deren Seite und verrät ihr das Geheimnis einer funktionierenden Beziehung: „So vernehmen Sie denn, daß wir, je größer unsere Liebe ist, um so weniger einen Mann, zumal einen Gatten, die Tiefe unserer Leidenschaft ahnen lassen dürfen.“
Augustine, schockiert: „So müßte man verheimlichen, rechnen, falsch werden, sich einen künstlichen Charakter anerziehen, und das alles für immer? Wie kann man so leben?“ Konflikte, die auch heute jede Begegnung auf Tinder und Okcupid bestimmen. Die Ahnung, dass die Welt vor 200 Jahren auch nicht anders war, als heute, bestätigt sich.
Danach ein Genre-typisches Ende. Augustine endet mit 27 ungeliebt auf dem Friedhof von Montmarte. Der namenlose Vorübergehende sinniert: „Die demütigen, bescheidnen Blumen sterben vielleicht, wenn sie aus den Tälern, in denen sie erblühten, zu nah dem Himmel in Regionen verpflanzt werden, in denen sich Gewitter bilden und die Sonne brennt.“
Beste Figur: Die abgeklärte Herzogin von Carigliano, die sogar ihren Gatten, den mächtigen Herzog soweit erzogen hat, dass er es niemals wagen würde, ihren Flügel des gemeinsamen Palais‘ zu betreten.
Beste Stelle: Wenn Theodor, wütend über den Verrat der Herzogin, folgende Rache plant: „Ich male sie, ja, ich stelle sie mit den Zügen Messalinas dar, die nachts aus dem Palast des Claudius schleicht.“ Take that, bitch!
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